Der Landes- und Fraktionsvorsitzende der SPD in Mecklenburg-Vorpommern, Harald Ringstorff, empfiehlt seiner Partei, die Zusammenarbeit mit der PDS rechtzeitig zu enttabuisieren. Sonst sei es fast unmöglich, konservative Politik abzulösen

taz: Herr Ringstorff, mit der Forderung nach Absetzung der Finanzministerin haben Sie die Koalitionskrise in Mecklenburg- Vorpommern ausgelöst, nun sind Sie selbst aus dem Kabinett ausgeschieden. Haben Sie zu hoch gepokert?

Ringstorff: Ich bin verantwortungsbewußt für die Interessen des Landes eingetreten. Die Krise hat dann allerdings eine gewisse Eigendynamik entwickelt.

Die Haltung der SPD war den Wählern nur schwer verständlich?

Die Botschaft war zu kompliziert. Wir haben den Rücktritt der CDU-Finanzministerin gefordert, weil sie im Alleingang hohe finanzielle Belastungen für das Land akzeptiert hat. Wir mußten dieses Verhandlungsergebnis andererseits akzeptieren, um die Existenz der Werften zu sichern. Die 350 Millionen, die wir für die Werften zahlen müssen, fehlen jedoch jetzt im Landeshaushalt. Es wird in der Bevölkerung noch ein schmerzliches Erwachen geben.

Haben Sie Ihrer Partei nicht letztendlich eine schwere Niederlage eingehandelt?

Wir waren sicher kein Punktsieger in der Krise. In der Öffentlichkeit ging es nur noch um die Person der Finanzministerin und nicht mehr um die verfehlte Finanzpolitik. Das Land wurde zur Kasse gebeten, obwohl die Bundesregierung ihren Kontrollpflichten nicht nachgekommen ist. Nur so konnten 845 Millionen Mark Fördergelder, die den ostdeutschen Werften zustanden, durch den Vulkanverbund zweckentfremdet werden. Unser Koalitionspartner hat jedoch große Schwierigkeiten, die Bundesregierung zu kritisieren, auch wenn diese den Interessen des Landes schadet.

Ist Ihnen Ihre eigene Partei in den Rücken gefallen. Schließlich mußten Sie persönlich beschädigt als Wirtschaftsminister zurücktreten?

Nein, in der SPD-Fraktion und im Landesvorstand sind alle möglichen Konsequenzen, die es im Falle des Nichteinlenkens der CDU gäbe, ausführlich diskutiert worden. Wir wollten den Koalitionspartner zur Vertragstreue mahnen und haben der CDU deutlich gemacht, daß es eine Mehrheit für eine andere Politik im Landtag gibt.

Mit Konsequenzen kann man ernsthaft doch nur drohen, wenn auch die Partei bereit ist, politische Alternativen wahrzunehmen.

Es hat sich gezeigt, daß die Diskussion darüber, wie wir mit einer solchen Situation umgehen, in der SPD zunächst weitergeführt werden muß. 1998 werden wir eine andere Situation haben.

Welche?

Die SPD wird Ende des Jahres einen Sonderparteitag durchführen und ihr Verhältnis zu anderen Parteien debattieren. Gleichzeitig wird sie ihr Regierungsprogramm von 1994 für die kommenden Wahlen fortschreiben. Dann werden wir mit beiden potentiellen Partnern darüber verhandeln, mit welchem sozialdemokratische Inhalte am weitesten durchgesetzt werden können.

Für einen Teil Ihrer Partei ist die PDS kein politischer Partner. Wie wollen Sie dort ein Umdenken erreichen?

Meinungsumfragen zeigen, es gibt in der Bevölkerung mittlerweile eine deutliche Mehrheit, die akzeptiert, daß PDS-Abgeordnete genauso demokratisch gewählt worden sind wie die Abgeordneten anderer Parteien. Die PDS wird irgendwann Farbe bekennen müssen. Folgenlose Opposition kann eine Partei nicht auf Dauer durchhalten. Man darf es der PDS nicht so einfach machen, sondern muß sie mit in die Verantwortung einbeziehen.

Nicht nur die PDS muß Farbe bekennen, sondern auch die SPD. Die Dresdener Erklärung verbietet bis heute die Zusammenarbeit von SPD und PDS. Der Druck auf Sie war vor allem aus dem Westen sehr groß. Wie wollen Sie die emotionalen und politischen Barrieren in der SPD überwinden?

Wir müssen in Bonn sicher noch harte Arbeit leisten. Viele Bonner Sozialdemokraten können die Situation bei uns nicht vernünftig beurteilen. Ausgrenzung stärkt die PDS. Dies kann nicht das Ziel von Sozialdemokraten sein.

Der stellvertretende SPD-Vorsitzende Johannes Rau hat sogar mit Rücktritt für den Fall gedroht, daß Sie mit der PDS zusammenarbeiten. Könnte man das nicht fast als innerparteiliche Erpressung bezeichnen?

Darüber wird noch zu sprechen sein, schließlich haben wir nicht gegen Parteitagsbeschlüsse verstoßen. Andere führende Genossen im Westen kommen zu derselben Einschätzung wie ich.

Davon war nicht viel zu hören.

Sie haben sich während der Koalitionskrise nicht so deutlich artikuliert. Die Meinung von Johannes Rau ist eine Meinung innerhalb der gesamten SPD. Da gibt es auch noch andere Meinungen.

Die PDS ist ein politischer Gegner der SPD genauso wie die CDU. Aber ich mache zwischen beiden Parteien nicht so große Unterscheidungen wie manche andere Sozialdemokraten. Inzwischen gibt es in der PDS auch eine Reihe neuer Mitglieder. Die kann man nicht für 40 Jahre Sozialismus verantwortlich machen. Natürlich waren über 90 Prozent der Mitglieder schon in der SED, aber in der CDU im Osten gibt es genauso viele Altmitglieder. Auch die haben das DDR-System mitgetragen. Insofern ist die Ausgangssituation nicht vollkommen anders.

Wir belügen uns teilweise doch selbst, auch in der SPD. Wir haben überhaupt keine Berührungsängste, mit ehemals führenden SED- Kadern zu reden, die in der Wirtschaft bis heute Spitzenpositionen einnehmen. Aber es gibt immer noch die Vorbehalte, mit Vertretern der PDS zu reden.

Wie wollen Sie diese Vorbehalte in den kommenden zwei Jahren abbauen?

Wir müssen vor allem die Diskussion im eigenen Landesverband vorantreiben. Die Bevölkerung ist da teilweise schon viel weiter. Es gibt eine Umfrage der Landesregierung aus dem März 1996. Demnach haben 44 Prozent der Mecklenburg-Vorpommern eine Regierungsbeteiligung der PDS befürwortet. Weitere 15 Prozent waren für eine PDS-tolerierte SPD-Minderheitsregierung. Zusammen sind dies 59 Prozent, das ist doch keine Minderheit mehr. Nur 15 Prozent sind für eine strikte Abgrenzung gegenüber der PDS.

Sie haben Ihren eigenen Landesverband in der Koalitionskrise zwischen Anhängern der großen Koalition und deren Gegnern scharf polarisiert. Droht dem Landesverband bei einer solchen Spannbreite 1998 nicht eine Zerreißprobe?

Die Bekenntnisse zur großen Koalition gelten nur für diese Legislaturperiode. Dennoch wird es einen völligen Konsens über die künftige Richtung in einer großen Volkspartei nicht geben. Ich will einen möglichst großen Teil meiner Partei mitnehmen. Aber wir werden es nicht vermeiden können, egal für welchen Weg wir uns entscheiden, daß einzelne in der Partei diesem Weg nicht zustimmen.

Bereits im Herbst 1994 haben Sie vor der Bildung der großen Koalition erstmals mit der PDS Gespräche geführt und dabei die sogenannten „notwendigen Klarstellungen“ präsentiert. Sehen Sie dort noch Klärungsbedarf als Voraussetzungen für eine Zusammenarbeit mit der PDS?

Der PDS-Landesvorsitzende Helmut Holter hat sich auch in der Öffentlichkeit bei Sozialdemokraten für das entschuldigt, was sie durch die Vereinigung von KPD und SPD erleiden mußten. Diesen Schritt haben wir natürlich registriert. Daß die PDS das Grundgesetz anerkennt, hat sie uns auch schon 1994 mitgeteilt. Ob Mitglieder der Kommunistischen Plattform Einfluß auf Regierungspolitik gewinnen können, darüber wäre noch zu sprechen. Wer allerdings die PDS als kommunistische Partei bezeichnet, der redet an den Tatsachen vollkommen vorbei.

Die PDS ist bis heute keine homogene Partei, auch nicht in Mecklenburg-Vorpommern. Aber ich beobachte mit großer Aufmerksamkeit deren Entwicklung. Es hat ja nicht zuletzt in der Folge der Volksbefragung über die Länderfusion zwischen Berlin und Brandenburg in der PDS eine interessante Diskussion begonnen.

Sie habe sich ja selbst schon darüber beklagt, daß vieles aus dem SPD-Programm abgeschrieben sein könnte, was die PDS im Landtag beantragt. Macht die PDS hier nicht eine recht pragmatische Oppositionspolitik?

Eine Opposition muß immer daran arbeiten, die Regierung zu stürzen und sich als die bessere Alternative zu präsentieren. An letzterem fehlt es der PDS noch ein wenig. Aber sie tut mit viel Geschick alles, um die Regierung aus dem Gleichschritt zu bringen. Das ist legitim. Wenn ich Opposition wäre, würde ich es genauso machen. Die SPD gerät dadurch allerdings vielfach in Schwierigkeiten. Die CDU ist nicht bereit, auf ihren Koalitionspartner Rücksicht zu nehmen. Niemand kann von uns verlangen, daß wir Dinge im Landtag ablehnen, die wir selbst öffentlich vertreten haben.

Die PDS ist mitgliederstärker und besser organisiert als die SPD. Begibt sich Ihre Partei nicht in die Gefahr, gegenüber der PDS erst recht ins Hintertreffen zu gelangen, wenn sie auf die PDS zugeht und in praktischer Politik mit ihr konkurriert?

Dieses Argument höre ich immer wieder, aber ich würde es nicht überschätzen. Die Mitgliederzahlen der PDS gehen zurück, sie hat sehr viele alte Mitglieder. Die PDS ist allerdings in vielen Vorfeldorganisationen noch stärker verankert als andere Parteien. Es ist daher verständlich, daß die PDS näher an den Problemen dran ist, die die Menschen dort haben.

Besteht nicht die Gefahr, daß die SPD bei den nächsten Wahlen 1998 hinter die PDS in der Wählergunst auf Platz drei zurückfällt?

Ich sehe diese Gefahr, wenn die SPD nach dieser Koalitionskrise kein Profil mehr erkennen läßt. Aber die SPD wird Profil zeigen, dafür werde ich sorgen. Wir können auch in einer großen Koalition zeigen, welches unsere Positionen sind und wo wir Kompromisse eingehen mußten. Als Schoßhündchen der CDU hätten wir 1998 sicher nur geringe Wahlchancen.

Es ist ja wirklich nicht alles eitel Sonnenschein in Mecklenburg- Vorpommern. Die Arbeitslosigkeit beträgt 20 Prozent. Von den blühenden Landschaften, die schon für 1994 versprochen waren, ist das Land noch weit entfernt. Die PDS hat es da manchmal relativ einfach. Es gibt sehr viele Beispiele dafür, wie im Prozeß der deutschen Einheit Glücksritter und Absahner in den Osten gekommen sind. Die Politik der Treuhand, die Politik des Privatisierens, koste es, was es wolle, hat zu einigen unnötigen Kahlschlägen geführt hat.

Was könnten Sie mit der PDS besser machen in Mecklenburg- Vorpommern als mit der CDU?

Das möchte ich nicht mit der taz diskutieren, sondern das werden wir erst einmal gründlich in unserer Partei erörtern.

Wird es 1998 eine SPD-PDS- Koalition in Mecklenburg-Vorpommern geben?

Darüber entscheidet ein Landesparteitag anhand von Inhalten. Allerdings muß die SPD rechtzeitig die Zusammenarbeit mit der PDS enttabuisieren. Sonst wird es fast unmöglich sein, konservative Politik abzulösen. Interview: Christoph Seils