Ladenschluß- Ethnologie

Washington (taz) – Am siebten Tag schuf Gott die Shopping Mall – und sprach zu Adam und Eve: „Ihr sollt nicht eher ruhen, bis ihr mir ein T-Shirt erstanden habt. Extra Large.“ Doch die beiden verirrten sich in der Obstabteilung. Die Folgen sind bekannt: Adam und Eva wurden aus dem Paradies verstoßen. Geprägt von diesem Trauma strömen heute Millionen jeden Sonntag in die Einkaufszentren, um T-Shirts zu kaufen. Und Jeans. Und Kühlschränke. Und Laptop- Computer. Und, und, und ...

Soviel zur Schöpfungsgeschichte der neuen Welt. Hier sind nicht nur Ladenschluß-, sondern auch Gottesdienstzeiten sehr flexibel.

Auch nach Sonnenuntergang noch Milch kaufen zu können, ist nicht das Ende der Welt, sondern eine Dienstleistung, die US-AmerikanerInnen für selbstverständlich halten. Auch BesucherInnen aus der Alten Welt lernen sie schnell schätzen. Um so rüder empfindet in der geliebten Heimat den SupermarktverkäuferInnen, der um 18.31 Uhr nach sorgfältiger Verriegelung der Eingangstür ein empörtes „Seh'n-se-nich'-daß- wir-geschlossen-haben“ vernehmen läßt. Und ob wir das sehen. Aber wir sehen es nicht ein.

Für weitgereiste AmerikanerInnen wiederum sind deutsche Ladenschlußzeiten ein ethnologisches Phänomen: So bewunderte Alan Cowell, Korrespondent der New York Times, die regen Freizeitaktivitäten deutscher Familien am Wochenende, die dank geschlossener Geschäfte (und leerer Kirchen) Picknick machen, Fußball spielen, Radfahren. Was den US-KollegInnen allerdings nicht ganz einleuchten will, ist die Protestwelle gegen die Erlaubnis für Bäckereien, jeden Sonntag frisches Brot zu verkaufen – all das in einem Land mit hoher Backkunst, noch höherer Arbeitslosigkeit und höchst bedrohlicher globaler Konkurrenz. Sein persönliches Shopping-Dilemma hat der Mann von New York Times inzwischen gelöst: Er hat die Tankstelle entdeckt. Woran er sich vermutlich noch nicht gewöhnt hat, sind sie Benzinpreise. Aber das ist wieder ein anderes Thema. Andrea Böhm