Todesschütze mit Erinnerungslücken

■ Der 16jährige Kurde Halim Dener starb durch einen Schuß in den Rücken. Jetzt steht ein Polizist wegen fahrlässiger Tötung vor dem hannoverschen Landgericht

Celle (taz) – „Mir tut das ganze Ereignis unsagbar leid“ – so begann der angeklagte SEK-Beamte Klaus T. gestern vor der 2. Strafkammer des Landgerichts Hannover seine Aussage. Wegen seines tödlichen Schusses auf den 16jährigen Kurden Halim Dener steht der 29jährige Polizist seit vergangener Woche vor Gericht. Den Namen des Opfers, das in der Nacht zum 1. Juli 1994 verblutete, erwähnte der SEK-Beamte in der Aussage kein einziges Mal.

Fahrlässige Tötung wirft ihn die Anklage vor, die der hannoversche Oberstaatsanwalt Nikolaus Borchers am gestrigen zweiten Verhandlungstag verlas. Im Zuge „eines heftigen Gerangels“ soll sich demnach versehentlich der Schuß gelöst haben, der den kurdischen Jugendlichen aus zehn Zentimeter Entfernung in den Rücken traf. Als Opfer unglücklicher Umstände sah sich gestern der Angeklagte: Er hatte schon kurz nach der Tat „das Gefühl, daß da etwas mit mir passiert war, daß ich nichts verbrochen hatte“.

Ansonsten versagte gestern vor allem das Erinnerungsvermögen des SEK-Beamten. Er schilderte dem Gericht, wie er Halim Dener, den er zusammen mit einem Kollegen beim Plakatieren beobachtet hatte, verfolgte, ihm ein Bein stellte, zusammen mit ihm zu Boden stürzte und den auf den Bauch liegenden mit einem Griff um den Hals in den Schwitzkasten nahm. „Als ich die Sache am Boden einigermaßen im Griff hatte“, habe er neben dem Kopf des Jugendlichen einen Revolver liegen sehen und dann mit einem Griff zu seinem Holster geprüft, ob es sich um seine eigene Waffe handelte. Dabei habe er den Griff um den Hals des Jugendlichen etwas gelockert, meinte der Angeklagte und hatte nun „das Problem, nichts mehr genau sagen“ zu können. Der Jugendliche müsse sich wohl aus seinem Griff gelöst haben. Er selbst könne sich nur erinnern, ein Knall gehört und den Jugendlichen dann noch einmal angesehen zu haben. Als dieser weggelaufen sei, habe er gedacht: „Gott sei dank ist nichts passiert.“ Erst kurz danach will dem Angeklagten bewußt geworden sein, daß er selbst geschossen hatte: „Ich muß die Waffe in der Hand gehabt haben. Das ist die Sache, die ich nicht mehr zusammenbringe“, schilderte der Polizist das Ereignis.

Die Anklage der hannoverschen Staatsanwaltschaft behauptete bisher, daß der Schuß sich löste, als der SEK-Beamte seinen Revolver in sein Holster zurückstecken wollte. Der Vertreter der Eltern des jungen Kurden, der Bremer Rechtsanwalt Eberhard Schulz, hatte gestern allerdings noch einmal darauf hingewiesen, daß Polizisten darauf trainiert seien, beim Einstecken ihrer Dienstwaffe die Finger an den Lauf und keineswegs an den Abzug zu legen. Damit begründete er den Antrag auf den rechtlichen Hinweis des Gerichts, daß auch eine Verurteilung wegen Totschlags oder Körperverletzung mit Todesfolge in Betracht komme. Dieser Antrag auf Erweiterung der Anklage, über den das Gericht noch zu entscheiden hat, erklärt möglicherweise die plötzlichen Erinnerungslücken des Angeklagten. Jürgen Voges