Null Bock auf Nullrunde

■ Erste Warnstreiks im öffentlichen Dienst legten Nahverkehr, Kindergärten und Briefverteilung lahm

Düsseldorf (AP) – Hunderttausende BundesbürgerInnen kamen gestern zu spät zur Arbeit: Mit Warnstreiks vor allem im Nahverkehr bekräftigten die Gewerkschaften vor der entscheidenden Tarifrunde im öffentlichen Dienst ihre Lohnforderungen. Aber auch Kindergärten, Krankenhäuser und Briefverteilungszentren waren von Arbeitsniederlegungen betroffen. Sie richten sich gegen die geplante Nullrunde und das Bonner Sparpaket mit seinen Einschränkungen bei Lohnfortzahlung und Kündigungsschutz.

Schwerpunkt der Aktionen war Nordrhein-Westfalen. In Köln, Bonn, Leverkusen, Düren, Bochum, Duisburg und Bielefeld blieben Bahnen und Busse während des morgendlichen Berufsverkehrs in den Depots. In Düsseldorf und Umgebung stand die Rheinbahn still. ÖTV-Sprecher Werner Ley sagte in Düsseldorf, im ganzen Land seien auch MitarbeiterInnen von Stadtverwaltungen, Müllabfuhr und weiteren kommunalen Einrichtungen in den Ausstand getreten. Sogar der Duisburger Zoo öffnete erst mit mehrstündiger Verspätung. In den Briefzentren Wuppertal, Dortmund, Herford und Braunschweig ließen Beschäftigte die Arbeit ruhen, mehrere Millionen Briefe blieben liegen.

In Stuttgart, Esslingen, Freiburg und Konstanz blieben rund 460 Busse und Straßenbahnen in den Depots, die Bodenseefähren fest vertäut im Hafen. In der Stauferklinik Schwäbisch Gmünd, im Stuttgarter Katharinenhospital und in den Krankenhäusern Ellwangen und Heidenheim protestierte das Pflegepersonal.

In Niedersachsen lähmten die Streiks den morgendlichen Nahverkehr in Hannover, Hildesheim, Göttingen, Goslar und Braunschweig. Die Müllabfuhr in Braunschweig, Holzminden und Hildesheim beteiligte sich an den Protesten. In Berlin wurden die 1.200 städtischen Kindertagesstätten und die 18 Ganztagsgrundschulen im Westen sowie sämtliche Bezirksämter bestreikt. Auch die MitarbeiterInnen der Arbeitsämter und Meldestellen legten die Arbeit zeitweise nieder. Gegen Mittag folgten mehrere Senatsverwaltungen und die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte.

Die Tarifverhandlungen für die 3,2 Millionen Arbeiter und Angestellten im öffentlichen Dienst gehen am Mittwoch und Donnerstag in die entscheidende vierte Runde. ÖTV und DAG fordern 4,5 Prozent mehr Lohn, die Arbeitgeber haben kein Angebot vorgelegt und streben eine Nullrunde an. DAG-Verhandlungsführer Christian Zahn sagte im Deutschlandradio, mit den Aktionen sollten die Arbeitgeber von der Entschlossenheit der Gewerkschaften überzeugt werden.

Der Verhandlungsführer für die Kommunen, der Kölner Oberstadtdirektor Lothar Ruschmeier, schloß eine „soziale Komponente“ für die unteren Einkommensgruppen aus. Der Verband der kommunalen Arbeitgeber werde keine Vereinbarung unterschreiben, bei der die Städte stärker belastet würden als Bund und Länder.

Auch die SPD meldete sich zu Wort. Der wirtschaftspolitische Sprecher der Bundestagsfraktion, Ernst Schwanhold, sagte gestern in Bonn in Anspielung auf die Massenkaufkraft: „Ich halte eine Nullrunde nicht für angemessen, weil sie sofort die Nachfrage dämpfen würde.“

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