Ein Polit-Ikone bleibt draußen

■ Montag wäre Wolfgang Borchert 75 Jahre alt geworden

10. Mai 1945: Wolfgang Borchert steht vor der Tür, daheim in Hamburg. Fragender Blick, die Zukunft wie seine Rolle darin unklar. Sommer 1947: Nun schaut ein Künstler in die Kamera, glattes Gesicht, sensible Pose, die Haare lang. Borchert hat seine Rolle gefunden: ist Stimme einer Generation geworden, hat literarisch Erfolg. Wenn nur der lädierte Körper mitmachen würde. Doch er tut es nicht. Er stirbt am 20. November, gerade 27 Jahre alt.

Zweieinhalb Jahre literarische Arbeit, literarisches Leben, sie reichen aus für einen Ruhm ohne Entwicklung, aber dafür auch ohne Ende. Immer neue Generationen werden ihn als ihre Stimme adoptieren, ihn zur Wanderstimme machen, sozusagen, ihn benutzen. Und die anfangs von ihm Bewegten sind lange auf Distanz zum Schrecken des Kriegserlebnisses. 50 Jahre haben ihre Spuren hinterlassen, andere Spuren, haben die wesentlichen Spuren getilgt: durch Wiederaufbau Wirtschaftswunder Wohlstandsgesellschaft.

Doch mehr als vier Millionen verkaufte Borcherts klopfen die Rolle des jungen Genies, des Frühvollendeten fest. Keine Chance für ein anderes Bild, auch wenn das Publikum längst ein anderes ist. Und so bleibt Borchert reduziert auf diese Rolle, des Aufrufers zum Nein-Sagen, gelesen von jedem friedensbewegten Menschen.

Und bleibt dabei so gänzlich unpolitisch. Doch kaum ein Bücherbrett in einer bundesdeutschen WG war Borchert-frei. Meist prangte dort das streng betitelte und einfallslos aufgemachte Gesamtwerk. Mochte ansonsten auch über die Intrigen des militärisch-industriellen Komplexes theoretisiert werden – bei Borcherts Texten verzichtete man gern auf politische und soziale Hintergründe, stimmte sich ein auf das individuelle Leid und stand immer wieder als Zuhörer daneben, wenn er zum Nein-sagen aufrief – als der Lieferant von Versatzstücken für Anti-Kriegs-Rezitationen.

So ergeht es eben einem Frühvollendeten: danach kommt nichts mehr. Überzeitlichkeit hält jung. Die Geranien werden traurig bleiben, die Mütter Nein-sagen; Schischyphusch wird weiter lispeln und Beckmann Monologe halten, und irgendwie steht Wolfgang Borchert noch immer draußen. Andere haben ihre Kriegserfahrungen ebenfalls schreibend, darstellend verarbeitet: Joseph Beuys und Heinz Konsalik, Gleichaltrige, unvereinbare Pole. Und irgendwo dazwischen – Borchert?

Was später aus ihm geworden wäre, interessiert niemanden. Borchert ist aus seine Generation herausgefallen und bleibt solitär. Ein Genie eben. Wolfgang Borchert ist 27, ist tot. Und, seit Montag, auch 75.

Kay Dohnke