Giftige Luft im Klassenzimmer

Schule im Ausnahmezustand: Moabiter Grundschule hat PCB-vergiftete Räume. Auch Ersatzcontainer wegen Giftbelastung gesperrt  ■ Von Stephanie von Oppen

Schüler und Lehrer der „ Moabiter Grundschule“ in der Paulstraße 28 müssen sich drängeln. Der Unterricht kann nur im neueren Teil des Gebäudes stattfinden. Der „Altbau“ aus den 60er Jahren erwies sich schon vor über einem Jahr als in hohem Maße mit den krebserregenden Polychlorierten Biphenylen (PCB) belastet. Ein Teil der Klassen zog deshalb im Oktober vergangenen Jahres in behelfsmäßig errichtete Container um. Ein Umzug vom Regen in die Traufe: Messungen in den provisorischen Klassenräumen ergaben eine gesundheitsschädigende Innenraumkonzentration von giftigen Xylolen. Seit Anfang Mai sind nun auch die Container gesperrt.

Im Frühjahr 1995 wurde PCB im Schulgebäude gefunden. Ein halbes Jahr lang mußten teilweise zwei Schulklassen in einem Raum unterrichtet worden, so Direktorin Marika Köhnke-Meyer. Sport, Musik und Förderunterricht fielen weitgehend aus. Deswegen wurde beschlossen, auf dem Schulhof Container zu installieren. 87 000 Mark Miete blätterte das Bezirksamt für zehn Monate im voraus hin. Daß die Container zuvor auf Schadstoffe hin geprüft sein sollten, darauf wiesen die Eltern wohlweislich hin.

Mit den Containern sei „alles in Ordnung“ erfuhren daraufhin die Eltern und Lehrer. Schon bald jedoch klagten Schüler und Lehrer, die in den transportablen Räumen untergebracht waren, über Kopfschmerzen und Schleimhautreizungen. Besorgte Eltern und Lehrer veranlaßten eine Schadstoffüberprüfung. Tatsächlich wurden zu hohe Xylolwerte gemessen. Xylol wird als Lösungsmittel verwendet. Es wirkt schon in geringer Konzentration giftig. Schleimhäute und Nervenfunktionen können angegriffen werden. Auch eine Schädigung des Erbgutes ist nicht ausgeschlossen.

Vier Wochen lang ließ man die Räume „ausbacken“. Dabei werden die Container auf rund 50 Grad aufgeheizt und dann gelüftet. Die Schadstoffbelastung ging auf das normale Maß zurück, die Räume wurden wieder freigegeben. Doch nicht lange danach traten die bekannten Beschwerden wieder auf. Erneute Messungen erbrachten alarmierend hohe Werte. Die Eltern weigerten sich, ihre Kinder weiterhin zwischen giftausdünstenden Wänden unterrichten zu lassen. Das Gesundheitsamt ordnete an, die Container „bis auf weiteres“ zu schließen.

Regelmäßige Messungen hätten angeordnet werden sollen, so der Vorwurf der Elternschaft. Die Zuständigen von Gesundheits- und Umweltamt verteidigten sich: Ein Wiederanstieg von Lösungsmittelkonzentrationen, nachdem die Werte einmal rückläufig waren, sei ohne Beispiel.

Von den Behörden sei man enttäuscht, sagte Ricarda Meyer, Sprecherin des Elterbeirates. Horst Porath, SPD-Stadtrat für Bau und Wohnungswesen beteuert, er habe lediglich das Geld für die Miete zur Verfügung gestellt. Wer die Verhandlungen über die Containermiete mit welcher Firma geführt habe, wisse sie nicht, gesteht Elise Rodé, Bezirksstadträtin für Jugend, Schule und Sport von Bündnis 90/Die Grünen: Das sei vor ihrer Amtszeit gewesen. Die Amtsärzte vom Gesundheitsamt geben an, keine genauen Meßwerte zu kennen. Das wisse das Bauamt besser.

Die Eltern sind verärgert. Gegenüber dem Bezirksamt erheben sie den Vorwurf, fahrlässig Gelder hinausgeworfen zu haben. Effektiv hätten die Container nur sechs von zehn Monaten ihrem Zweck gedient. Ob die verantwortliche Firma zu einem Regress von mindestens 36 000 Mark Miete zuzüglich der Ausgaben für die Messungen und das energieaufwendige „Ausbacken“ verpflichtet ist, gilt es zu prüfen. Fest steht, daß noch mindestens ein Jahr vergehen wird, bis das Schulgebäude von PCB gereinigt ist. Erst seit kurzem liegt ein Gutachten über die Innenraumbelastung der Schule vor. Nun muß man sich über die Form der Sanierung einigen. Die Kosten dafür würden mindestens eine Million Mark betragen, schätzt Stadträtin Elise Rodé. Bis August stehen die nutzlosen Container noch auf dem Schulgelände. Für die weitere Raumplanung lägen Konzepte vor, nach denen die Klassen teilweise an andere Schulen ausgelagert werden sollen. Diese Pläne müßten allerdings noch von den Eltern abgesegnet werden. Denn ohne die würde fortan nichts mehr entschieden, verspricht die bündnisgrüne Elise Rodé.