„Unser Ort muß tschechisch bleiben“

Die tschechisch-slowakische Grenze teilt die 100-Seelen-Gemeinde U Sabotu. Nach einem neuen Vertrag soll das Dorf jetzt ganz slowakisch werden. Doch die tschechischen Bewohner wehren sich gegen die Ausbürgerung  ■ Aus U Sabotu Daniel Asche

Die Schranke ist zu. „Clo – Douane“ steht auf dem Schild daneben. Zwei Wohncontainer, eine riesige Satellitenschüssel. Wenige mutige Tulpen wachsen im Straßengraben. Der slowakische Zöllner läßt sich Zeit. Allzuoft kommt hier kein Auto vorbei. Das scheint der Beamte auszukosten. Skeptisch mustert er schon von weitem den Wagen und prüft mit Klopfen die Festigkeit des Blechs. Erst dann kommt er zum Fenster der Fahrertür. „Motor abstellen, Kofferraum öffnen, Koffer auspacken.“ Er verschwindet mit den Pässen im Kontrollhaus. Am Grenzpunkt U Sabotu bleibt beim Warten immer Zeit, über Gott und die Welt nachzudenken.

Seit 1993 läuft die Staatsgrenze mitten durch die 100-Seelengemeinde U Sabotu. Mit der friedlichen Teilung der Tschechoslowakei hat das Dorf eine tschechische und eine slowakische Hälfte. Und seitdem zerbricht sich eine bilaterale Grenzkommission die Köpfe, wie dieses Problem zu lösen sei. Ergebnis: Ein neuer Grenzvertrag, U Sabotu soll ganz slowakisch werden. Im Gegenzug wird ein anderes Dorf den Tschechen zugeschlagen. Insgesamt haben die eifrigen Verhandler zur Grenzbegradigung den Austausch von 452 Hektar Land vereinbart.

Doch die Bewohner von U Sabotu sind sich nicht einig, ob sie slowakisch werden wollen oder nicht. Und die bestehende Demarkationslinie nehmen sie auch jetzt schon nicht recht ernst. Ob man wirklich Zollgebühren zahlen müsse, wenn man den Nachbarn etwas Wurst zukommen lassen wolle, wurde anfangs im Wirtshaus gespottet. Nur Jana Masarykova, die Chefin des einzigen Dorfladens, konnte schon damals nicht mehr richtig lachen. Ihr blieben die Kunden weg, hauptsächlich die von slowakischer Seite. Sie verdienten weniger hartes Geld als die tschechischen Dorfbewohner und waren nicht bereit, vor einem Einkauf erst noch Geld zu tauschen. Jana Masarykova hat denn auch schon bald den Laden zugemacht.

Daß U Sabotu nun slowakisch werden soll geht den Leuten hier erst recht gegen den Strich. Sie berufen sich auf die UN-Charta der Menschenrechte, in der festgeschrieben sei, daß niemand gezwungen werden könne, sein Vaterland zu verlassen. Aus praktischer Sicht spricht zwar vieles für die Angliederung an die Slowakei. Die meisten Bewohner arbeiten dort, die Kinder gehen im nahen Vrbovce in eine slowakische Schule, auch die Toten aus U Sabotu werden dort begraben. Und bei einer „Heimholung“ der Ortschaft, so Vrbovces Bürgermeister Jan Hromadka, könnte auch der Bahnhof wieder voll in Betrieb gehen. Der beherbergt heute die tschechische Polizeistation. Der slowakische Ministerpräsident Vladimir Mečiar, glaubt Jan Hromadka, würde wohl allein aus „propagandistischen Gründen“ sogar mit Geld nachhelfen.

Doch vielen Dörflern geht es ums Prinzip. Sie wollen weder umziehen noch die Staatsbürgerschaft ändern. Eine regelrechte Ausbürgerung sei das, meinen viele. „Schließlich geht es hier auch um Traditionen“, redet sich der 72jährige Jiri Sabota in Rage. Sein Onkel, ein Tscheche, hatte den Ort 1972 gegründet. „Wenn jemand in die Slowakei will, soll er gehen. Aber unser Ort muß tschechisch bleiben.“ Mit seinen slowakischen Mitbürgern redet Jiri Babota angeblich schon lange nicht mehr.

Beide Regierungen haben trotz der Proteste aus U Sabotu den Grenzvertrag unterzeichnet, das slowakische Parlament hat seinen Segen gegeben. Nur die tschechischen Volksvertreter wollen nicht so recht. Ende Mai sind Wahlen in Prag, die linke Opposition wittert ein Thema, das sie ausschlachten kann. Die Regierung wolle den Siedlern ihr Recht auf Heimat nehmen, tönt es aus den Parteizentralen. Und so kam es, daß zwar die Regierungskoalition Ende April in der letzten Parlamentssitzung vor den Wahlen den Grenzvertrag verabschiedete, die dazu nötige Verfassungsänderung aber an der vorgeschriebenen Dreifünftelmehrheit scheiterte. Nach den Wahlen soll das Gesetz nun erneut beraten werden.

Inzwischen wird die slowakische Regierung unruhig. Vergeblich hat sie den Bewohnern U Sabotus versprochen, ihnen entgegenzukommen, damit sie so schnell wie möglich vollwertige Slowaken werden. Martin Kruzica, der Bürgermeister von Javornik, zu dessen südmährischer Gemeinde U Sabotu gehört, hat sich dagegen zum Regionalhelden gemausert: Sein Kampf um die Staatsangehörigkeit der 37 Häuser und ihrer Bewohner brachte ihm den Titel eines mährischen Don Quichotte ein.

Sogar das Prager Verfassungsgericht mußte sich mit seinen Eingaben beschäftigen. Bis heute gibt Martin Kruzica in seinem Kampf um U Sabotus „Freiheit“ nicht auf, obwohl die Richter seine Einspruch zurückwiesen, und auch Präsident Václav Havel nichts für ihn tun wollte. „Sie zahlen den Preis dafür, daß wir nicht mehr in einem tschechoslowakischen Staat leben können.“ Das war das einzige, was der Präsident einer Delegation von Dorfbewohnern bei einer Audienz in Prag sagen konnte. Die angebotene Entschädigung wollen die standfesten Protestierer deshalb auch ablehnen.

Immerhin umgerechnet 23.000 Mark soll jeder Erwachsene bekommen, Kindern steht die Hälfte zu. 85.000 Mark bekommt jede Familie noch für eine neue Wohnung. Doch Bürgermeister Martin Kruzica lockt das nicht. „Das ist doch einfach beleidigend. Ich halte daran fest, daß die Regierung gesetzeswidrig gehandelt hat.“ Der streitbare Bürgermeister hofft nun, daß es nach den Parlamentswahlen in Prag andere Mehrheiten geben wird. „Wir haben U Sabotu noch nicht aufgegeben“, sagt Martin Kruzica. Dann erzählt er wehmütig von besseren Zeiten. Von damals, als sich Tschechen und Slowaken in U Sabotu einig waren, daß nur eines zählt: der Ausgang der Zwetschgen-Ernte, der über die Menge des Slibowitz entschied. Im letzten Herbst hat man übrigens reichlich davon brennen können, hüben wie drüben.