■ Das falsche Mittel: Der Anschlag auf den Exnazi Grubbe
: Die dritte Verhöhnung

Als die bundesdeutsche Nachkriegsjustiz gegen NS-Verbrecher ermittelte und fast jeden wieder laufen ließ, wurden die KZ-Opfer noch einmal ermordet. Von 91.160 „Fällen“ wurden seit 1945 in der Bundesrepublik gerade einmal 6.481 Naziverbrecher verurteilt. 83.567 Beschuldigte wurden nicht bestraft.

Die Gründe dafür sind vielfältig. Besonders in den fünfziger Jahren, aber auch noch darüber hinaus, waren viele Staatsanwälte und Richter an einer Verurteilung von NS-Tätern nicht sonderlich interessiert. Schließlich waren etliche von ihnen selbst im NS-Apparat groß geworden.

Ein Grund aber war auch, daß bei der Bewertung der „individuellen“ Schuld nach vielen Jahren im Gerichtssaal nicht mehr eindeutig Tag und Ort des Verbrechens und die Namen der Opfer geklärt werden konnten. Es wurde ja niemand allein deswegen verurteilt, weil er KZ-Aufseher war. Er mußte schon an einem möglichst genau benennbaren Datum ein möglichst genau benennbares Opfer mit einer möglichst genau benennbaren Waffe umgebracht haben.

Das Verfahren gegen den ehemaligen Kreishauptmann des jüdischen Schtetl Kolomea, Klaus Volkmann, wurde wie viele andere Verfahren in den sechziger Jahren eingestellt, weil kein Zeuge gefunden wurde, der dem ehemaligen Chef des Judengettos einen einzelnen Mord anlastete. So zynisch ist die Gerechtigkeit: In Kolomea starben Tausende Juden an Hunger oder wurden erschossen. Doch einen individuellen Täter konnte man nicht feststellen. Wer möglichst viele Juden möglichst jeden Tag ermordete, hatte somit die besten Chancen, einer späteren Bestrafung zu entgehen.

Klaus Volkmann lebte unter seinem neuen Namen Peter Grubbe nicht nur ungeschoren in der Bundesrepublik, er brachte es auch als linker Journalist und Buchautor zu Erfolg und Wohlstand. Erst die Veröffentlichung seiner Erst-Biographie vor einem Jahr unterbrach diese „Erfolgsstory“. Vor wenigen Tagen zerschlugen Unbekannte die Scheiben an seinem Wohnhaus, warfen Farbflaschen und verspritzten Buttersäure. Als „Anwalt“ bemühten die anonymen Täter Simon Wiesenthal: „Menschen mit einer solchen Vergangenheit haben kein Recht, in Ruhe zu sterben.“

Wiesenthal meinte dies anders: Man muß die Volkmänner vor Gericht verurteilen und, wo dies nicht mehr geht, sie wenigstens zur Rede stellen. Das ist im Fall Volkmann geschehen. Farbbeutel zu werfen ist dagegen läppisch und die dritte Verhöhnung der Opfer. Philipp Maußhardt