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: La Jetée

Einen Prototyp des Menschen des 21. Jahrhunderts nannte Alain Resnais seinen Freund Chris Marker in den 60er Jahren unseres Jahrhunderts einmal. „Er scheint menschlich zu sein, aber er könnte genauso aus der Zukunft oder von einem anderen Planeten stammen.“ Diese Unzeitgemäßheit hat dem ehemaligen Resistance-Kämpfer, Romancier und Dokumentarfilmer eine größere Bekanntheit verwehrt. Auch wenn man an die politischen Experimente einer kollektiven Filmpraxis in den 60er Jahren denkt, fallen einem eher die Namen seiner Genossen Godard, Joris Ivens oder Agnès Varda ein. Terry Gilliam erwies nun mit 12 Monkeys (Szenenfoto) Chris Marker seinen Respekt. Was sich im Vorspann als „inspiriert von Chris Marker“ las, entpuppte sich als gelungenes Remake von Markers bis auf ein Augenblinzeln in Standbildern erzählten Kurzfilms La Jetée (1963), den das Abaton als Vorfilm zeigt.

Nach dem III. Weltkrieg, der die Überlebenden in die Katakomben des radioaktiv verstrahlten Paris und in eine geschichtslose Gegenwart getrieben hat, wird ein junger Mann von Wissenschaftlern ausgewählt, durch die Zeit zu reisen, weil den Menschen die Existenz im Raum unmöglich wurde. Getrieben wird er dabei von einem Bild, das er aus seiner Kindheit erinnert: das Gesicht einer Frau und eines fallenden Mannes auf dem Flughafen von Orly, an den ihn seine Mutter vor dem Ausbruch des Krieges gebracht hatte. Als er sich auf der Reise in die Vergangenheit verliebt und an diesen Ort der Kindheit zurücckehren will, wird er von einem nachgereisten Wissenschaftler getötet. Jenes Bild, das in die Kindheit geführt hatte, war das Bild seines eigenen Todes als Erwachsener.

Zeitreise-Geschichten sind so alt wie das Kino selbst. Vielleicht weil das Kino auch so etwas wie eine Zeitmaschine ist und seine Geschichten erlauben, unsere Gegenwart zu verlassen. Aber auch das Kinoerlebnis selbst speist sich aus einer Art von Zeitreise – der Erinnerung an die unmittelbare Wahrnehmung der Kindheit und der Wunsch, dahin für zwei Stunden zurückzukehren. Main-streamkino, von Back To The Future bis zu den Terminatoren unterschiedlichster Baureihen, spielt für seinen Erfolg solche Phantasien aus.

Worin sich Markers La Jetée unterscheidet, ist nicht nur, daß er die Paradoxien dieser Wünsche auf eine beklemmende Weise offenlegt. Noch wichtiger, er reflektiert die Zeitreise-Phantasie auf das Kino selbst. Und – darin liegt seine Bedeutung – er löst diese Reflexion filmisch in einer noch heute halluzinatorischen und über alles hinausweisenden Filmsprache, die die Vergangenheit des fotografischen Bildes der bewegten Gegenwärtigkeit des filmischen Bildes gegenüberstellt.

Tobias Nagl

siehe Abaton