Was ist das Neue?

■ Das Ende nach 15 Jahren: ein optimistischer Nachruf auf die Hamburger Band „Die Kastrierten Philosophen“

Die Kastrierten Philosophen haben diesen Namen abgelegt und eine neue Tapete für ihren Kosmos entdeckt. Die beiden hauptsächlichen Mitglieder der Gruppe, Matthias Arfmann und Katrin Achinger, haben nämlich ein Haus für die Zukunft bezogen. „Eigentlich ist so ein Umzug aufs Land eine ziemlich hippiemäßige Angelegenheit“, stellt Arfmann im Garten des neuen Domizils der jungen Familie fest.

Katrin Achinger folgt währenddessen dem gemeinsamen Sohn David, der sich im dritten Lebensjahr die Apfelplantage erkrabbelt, die das Haus umgibt. Aber die drei sind nicht nach Neuenfelde in der Nähe von Finkenwerder umgezogen, um Kartoffeln anzubauen oder sich bloß durch die authentische Nähe zur Natur ihr Mantra zu verbessern: Im Parterre hat Arfmann gerade das neue Studio eingebaut, in welchem die nächsten Platten der beiden entstehen werden.

Die Kastrierten Philosophen klopfen sich nicht auf die Schulter. Kritiker und Publikum geraten für die beiden kaum in Vergessenheit, auch wenn es in der neuen, so einladend einladenden Umgebung plausibel scheint, sich auf eine euphorische Art selbst zu genügen. Aber während sich Matthias Arfmann im Studio zu schaffen macht, baut Katrin Achinger im Persönlichen vor und löst sich von Biographischem:

Neue Selbstdefinition

„Ich habe in der letzten Zeit erstmal versucht, diese Zuschreibungen abfallen zu lassen: ich mit einem deutschen Paß, aus der Mittelklasse, als Frau. Ich dachte mir außerdem: Wie pedantisch es doch ist, 15 Jahre lang jedes Jahr eine Platte rauszubringen“, resümiert sie die Vergangenheit als Bandleaderin.

Im letzten halben Jahr vor den Aufnahmen zu der letzten Platte der Gruppe, Where Did Our Love Go, hat Achinger angefangen, Bob Marley zu hören, „den ich früher immer nur langweilig fand. Marley hat seine Sachen aber auf eine so einleuchtende Art gesungen, daß es mich in letzter Zeit immer wieder umgehauen hat.“

Während der taz-Reporter Marley-Lyrics wenigstens für ein bißchen allgemein hält, geht Achinger aufs Ganze: „In den letzten Jahren habe ich mich viel mit Spiritualität, nicht mit Esoterik – diese Grenze möchte ich unbedingt beachtet wissen –, befaßt. Ich habe neben Marley bisher keinen Musiker gehört, der als 'Lehrer' im positiven Sinne redet und sich bezüglich Spiritualität so ausdrücken kann. Marley hat es fertiggebracht, die Abgrenzung der Spiritualität von der Esoterik auch noch mit Politik zu verbinden. Dagegen kleben die meisten Leute, mit denen ich Kontakt kriege, in zwei voneinander getrennten Szenen: In der Polit-Szene oder unter der Decke. Ich finde beide Szenen eigentlich immer mal wieder zum Kotzen.“

Abseits der Esoterik

Während zur Abwechslung Matthias Arfmann und David Achinger einen gemächlichen Querfeldein-Slalom zu Ende bringen, fügt sie hinzu: „Man muß nicht auf dem Land wohnen, um sich der Spiritualität zu nähern. Als wir noch am Hamburger Berg in St. Pauli wohnten, habe ich mir zu dem Thema viel mehr Gedanken gemacht.“

Das Fazit nach zwei Wochen in der Idylle: „Es verändert sich gerade so viel. Im Augenblick ergibt sich so viel Neues, daß es fast schon nicht mehr leicht fällt, zu sagen, was 'Das Neue' eigentlich heißen soll.“ Das Neue: der pure Stoff abseits von der Esoterik. Die Platten, die vom Neuen künden, sie werden von hier kommen können. Soviel sei prophezeit, am Ende einer Ära.

Kristof Schreuf