: Bei Daimler: Hau den Edzard!
10.000 Klein- und Großaktionäre schimpften bei der Hauptversammlung auf die Vergangenheit – und freuen sich auf die Zukunft ■ Aus Stuttgart Philipp Maußhardt
Es waren kleine Zeichen, die Großes ahnen ließen: Bei der gestrigen Hauptversammlung von Daimler-Benz in der Stuttgarter Hanns-Martin-Schleyer-Halle saßen Vorstand und Aufsichtsrat zum ersten Mal nicht mehr auf erhöhter Bühne. Nein, Daimler- Chef Jürgen Schrempp saß fast auf gleicher Höhe, Aug in Aug mit den 10.000 angereisten Wertpapierbesitzern, und in diesen Augen funkelte es gefährlich. Zum ersten Mal seit Kriegsende zahlt der Konzern (weltweit 310.000 Beschäftigte) in diesem Jahr keine Dividende – sprich Gewinnbeteiligung – aus. Der Verlust im vergangenen Jahr war einfach zu groß.
5,7 Milliarden Mark fehlten am Ende in der Kasse. Schuld daran waren in der Hauptsache der Ausstieg beim niederländischen Flugzeugbauer Fokker (2,3 Milliarden minus) und das Fiasko bei AEG (1,6 Milliarden). Den verwöhnten Aktionären sah man gestern den Schock darüber an: Es war ihre Stunde, die Stunde der Abrechnung.
In der Vergangenheit war die Rolle der Fundamentalkritik auf der Hauptversammlung zwei Organisationen vorbehalten: dem „Verein zur Förderung der Aktionärsdemokratie“ um den Würzburger Wirtschaftsprofessor Ekkehard Wenger und dem „Dachverband der kritischen Aktionärinnen und Aktionäre“. Während der erste sich als Schutzverband der von Vorstand und Aufsichtsrat angeblich an der Nase herumgeführten Anteilseigner versteht, ärgern die „Kritischen“ jedes Jahr erneut den Vorstand mit ihren Anträgen zum Ausstieg aus der Rüstungsindustrie und zum Umstieg auf ökologischen Fahrzeugbau.
In diesem Jahr aber hatten die beiden viele Mitstreiter bekommen, wenngleich auch aus ganz anderen Motiven. Kaum hatte Daimler-Chef Jürgen Schrempp seinen Vortrag beendet, in dem er die Vergangenheit kurz abgehakt und dann schnell in die verheißungsvolle Zukunft geblickt hatte, da prasselte es auch schon los: Ein Redner nach dem anderen bescheinigte dem alten Vorstand Mißmanagement und Unfähigkeit.
Edzard Reuter, bis im vergangenen Jahr Vorstandsvorsitzender und zuletzt noch im Aufsichtsrat des Konzerns, war sowieso schon lange als Schuldiger für die Misere ausgemacht, und so beteiligten sich alle am lustigen Hau-den-Edzard- Spiel. Ein „Traumtänzer“ sei das gewesen, viel von „Visionen und wenig von Erträgen“ habe er gesprochen und sei doch nur ein „totaler Versager“ gewesen.
Die gefüllte Halle rauschte im Applaus, als der Aufsichtsratsvorsitzende Hilmar Kopper (Deutsche Bank), die Stationen Reuters rekapitulierend, beim „Ausscheiden aus dem Aufsichtsrat“ angekommen war. Da kannte der Jubel keine Grenzen und schwoll erst viel später in der Rede Schrempps wieder an. Diesmal galt das Klatschen dem Bundeskanzler. Ihm wünschten die Aktionäre viel Glück beim Sozialabbau. Schrempp: „Die Richtung stimmt.“
Geschickt hat sich der Daimler- Chef der Kritik an seiner Person entzogen. Kurz vor Eröffnung der Versammlung ließ er die neuesten Umsatzzahlen der ersten vier Monate dieses Jahres veröffentlichen: Danach konnte Daimler-Benz seinen Umsatz um neun Prozent steigern: Balsam für die verletzten Aktionärsseelen, die für dieses Jahr nun wieder mit kräftigen Gewinnen rechnen dürfen.
Das ändert nichts daran, daß die Staatsanwaltschaft noch immer gegen Reuter, Schrempp und Kopper wegen des Verdachts ermittelt, auf der Hauptversammlung vor einem Jahr den Aktionären bewußt die Unwahrheit gesagt zu haben. Reuter sagte damals, der Jahresüberschuß des Konzerns werde 1995 „um ein weiteres Drittel“ anwachsen. Tatsächlich wurde wenige Wochen später dann die Milliardenpleite bekanntgegeben.
Der Kleinaktionär und Anzeigeerstatter Jochen Knoesel glaubt Beweise dafür zu haben, daß man im Daimler-Vorstand schon vor der entscheidenden Hauptversammlung im vergangenen Jahr über den drohenden Milliardenverlust informiert gewesen sei. Tatsächlich hatten Daimler-Manager in einem Quartalsbericht am 16. Mai gegenüber Reuter vor hohen Verlusten gewarnt – also acht Tage vor der Hauptversammlung. Doch war dieser Bericht bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht im Gesamtvorstand beraten worden. Dieser Umstand könnte Reuter zumindest strafrechtlich retten – vor den Augen der Aktionäre hilft ihm das jedoch nichts. Viele von ihnen stimmten darum gestern demonstrativ gegen eine Entlastung von Aufsichtsrat und Vorstand – eine symbolische Geste, da mit den Stimmen der Deutschen Bank (24,4 Prozent aller Aktionen) und des Scheichtums Kuwait (13 Prozent) die notwendigen Jastimmen dann doch noch zusammenkamen – die Mehrheit der 450.000 Kleinaktionäre war schließlich zu Hause geblieben.
Edzard Reuter verzichtete auf den Canossa-Gang. Er war auf der Hauptversammlung gestern nicht zu sehen. Für ihn gibt es schönere Termine. Heute schon. Im Stuttgarter Stadtteil Birkach wird ihm in der Turn- und Festhalle die Ehrennadel in Gold verliehen: für 50 Jahre Mitgliedschaft in der SPD.
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