Major schlachtet die Einheit Europas

■ Ab sofort will Großbritannien EU-Entscheidungen blockieren. Ein „Kriegskabinett“ organisiert den Widerstand

London/Brüssel (dpa/AFP/taz) – John Major wetzt die Messer: Einen Tag nach seiner Drohung, wegen der Krise um die Rinderseuche BSE die Europäische Union lahmzulegen, hat der britische Premier einen Ausschuß zur Koordinierung des Widerstands in der EU eingesetzt. Die britischen Medien sprachen prompt von einem „Kriegskabinett“. Die BBC: „Major hat der EU den Krieg erklärt.“

In Brüssel verkündete Majors verlängerter Arm, ab heute würde Großbritannien alle Entscheidungen der EU, bei denen Einstimmigkeit erforderlich ist, blockieren. Zunächst soll eine Konvention zu Konkursverfahren nicht gebilligt werden, sagte ein Sprecher der britischen EU-Vertretung.

Die MitarbeiterInnen des proeuropäischen britischen Schatzkanzlers Kenneth Clarke beeilten sich zu versichern, daß ihr Chef nicht etwa auf antieuropäische Linie gezwungen worden sei. „Unser unnachgiebiges Vorgehen wird funktionieren“, sagte Clarke, „denn dadurch ist der Einsatz höher geworden.“ Von einem „Kriegskabinett“ könne aber keine Rede sein.

Bevor Major den Ausschuß gründete, telefonierte er mit EU-Kommissionspräsident Jacques Santer. Das Gespräch sei „freundlich und konstruktiv“ verlaufen, versicherte Major. Allerdings machte er deutlich, daß es mit einer teilweisen Aufhebung des Exportverbots nicht getan sei: Er dränge auf einen Zeitplan, wonach sämtliche Exportbeschränkungen für Britanniens Beef bis 4.Juni aufgehoben werden. Die EU-Kommission unternahm gestern immerhin einen erneuten Vorstoß, das Exportverbot zu lockern. Sie schlug vor, Gelatine, Talg und Rindersamen von dem Verbot auszunehmen. Über den Vorschlag, den der Ständige Veterinärausschuß allerdings bereits am Wochenende abgelehnt hatte, stimmt der EU-Agrarrat am 3. und 4.Juni ab.

Italien, das derzeit die EU-Ratspräsidentschaft innehat, zeigte Unverständnis, bot aber auch Vermittlung an. „Dieses Problem wird nicht durch Konfrontation oder Erpressung gelöst“, sagte der italienische Außenminister Lamberto Dini der Tageszeitung La Repubblica. Verärgert reagierten die Niederlande. „Die Briten machen fortwährend den Fehler, zu denken, daß harte Worte helfen“, sagte Außenminister Hans van Mierlo. „Das wirkt sich genau entgegengesetzt aus.“ Ähnlich harsch äußerte sich das belgische Außenministerium in Brüssel: „Wenn die britische Regierung ebensoviel Energie im Kampf gegen die Rinderseuche wie für die Lockerung des Exportverbots aufbrächte, gäbe es längst eine Einigung.“ Die Bundesregierung glaubte gestern nicht, daß London seine Drohung wahr macht. Finanzminister Theo Waigel (CSU) erklärte, er gehe davon aus, daß die europäische Arbeit nicht lahmgelegt werde. Unterderhand wurde in Brüssel das britische Drohpotential ohnehin als niedrig eingeschätzt. „Die Briten blockieren doch jetzt schon alles, wofür man Einstimmigkeit braucht“, hieß es. chr/raso

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