: Vom Industrie- zum Sozialkombinat
Der größte Berliner Sozialbetrieb besteht seit vier Jahren: Die aus „Narva“ hervorgegangene „ABM Brücke GmbH“ betreibt alles, vom Sozialprojekt bis zur Wäscherei für Arme ■ Von Helmut Höge
Wenn wir gewußt hätten, was sie daraus machen, hätten wir diese ganzen ABM im Osten nie befürwortet“, meinte einmal ein Bonner Staatssekretär im Wirtschaftsministerium zu Ulrike Ahl – der Geschäftsführerin des zur Zeit mit fast 600 ABM-Stellen ausgerüsteten Sozialbetriebs „Brücke“ in Friedrichshain. Ahl war zuvor Patentassessorin im Glühlampen- kombinat „Narva“. Während der Wende wählte man sie in den Betriebsrat. Als dieser durch die Treuhandanstalt mit immer mehr Entlassungen konfrontiert wurde, gründeten einige der Betriebsräte mit Privatkrediten den Beschäftigungsverein „Avran“ (eine Rückwärtsbuchstabierung des Namens des Kombinats, das damals gerade abgewickelt wurde).
Die nicht freigestellte und von Kündigung bedrohte Betriebsrätin Ulrike Ahl übernahm die Geschäftsleitung der vom Avran-Verein eingerichteten GmbH „Brücke“ – und trat mit dem Arbeitsamt, der Senatorin für Arbeit, Christine Bergmann, und dem Bezirksbürgermeister Helios Mendiburu in „ABM“-Verhandlungen. Die Anzahl der Arbeitsplätze, die sie damit schuf, stieg bald im selben Maße wie das Glühlampenwerk Personal abbaute – bis dort 1995 komplett die Lichter ausgingen.
Im Ostteil Berlins arbeiteten im vergangenen Jahr 15.000 Menschen auf einer ABM-Stelle, 17.000 wurden vom Arbeitsamt umgeschult. Im Westteil wurden 7.000 ABM-Stellen und 10.650 Umschulungen von den Arbeitsämtern genehmigt. Beide Stadthälften sind finanztechnisch strikt getrennt. Im Osten gibt es eher zu viele „Regiekräfte“ mit Leitungs- qualifikationen, im Westen mangelt es daran, die Ostler dürfen jedoch zum Beispiel nicht in einem West-ABM-Projekt arbeiten, selbst wenn sie bereit wären, dies für den niedrigeren Osttarif zu tun.
Mit der Massenarbeitslosigkeit und dem Herausbilden riesiger Beschäftigungsgesellschaften wurde klar, daß den „Sozialbetrieben des Zweiten Arbeitsmarktes“ nicht nur eine „Brückenfunktion“ (so Brandenburgs Sozialministerin Regine Hildebrandt) für einen neuen Ersten Arbeitsmarkt zukam. Sie hatten sich auch noch – als Quasi-Dauereinrichtung – in der im Osten langsam entfaltenden Marktwirtschaft zu behaupten. An diesem Punkt gerieten und geraten sie immer wieder mit der Privatwirtschaft und den Wettbewerbsregeln in Konflikt. Zwar muß die „Brücke“ in Friedrichshain zum Beispiel jede eingenommene Mark wieder investieren, aber sie wird nicht als „gemeinnützig“ anerkannt – mit der simplen Begründung des Finanzamts: „Sonst wäre auch Siemens gemeinnützig, die schaffen ebenfalls Arbeitsplätze.“
Über 45 „Projekte“ in Ost- und Westberlin betreut die „Brücke“ – etwa im Sinne einer Holding, deren Töchter-GmbHs „Sozialbrücke“, „Jugendbrücke“, „Bildungsbrücke“ und „Hauswirtschaftsbrücke“ heißen. Ihre „Geschäftsfelder“ umfassen neben Tischler-, Maler- und Maurerarbeiten, Umweltanalysen, Kinderferienlager, die Versorgung von Kranken, Behinderten und Rentnern, eine Gebrauchtmöbelbörse, Haushaltsgerätereparaturen, eine Wäscherei und Kantine, zwei Suppenküchen für Obdachlose, ein Schreibservice im Flughafen Tempelhof, das ABM-Projekt „Stasi- Mahn- und Gedenkstätte Hohenschönhausen“, ein Puppentheater, eine Spielzeug- und eine Medien- werkstatt, das „Aussiedler- und Ausländer-Integrationszentrum Köpenick“ sowie mehrere touristische Bildungsprogramme und Führungen: „Immer mehr Sozialämter entdecken unsere Leistungen“, sagt Ulrike Ahl.
Die meisten dieser Aktivitäten finden in der ehemaligen Narva- Lehrlingsausbildungsstätte, Warschauer Straße 58, statt. Das Hinterhaus gehört noch der Treuhand- Nachfolgeorganisation, die stets nur Monatsverträge mit der „Brücke“ abschließt. Die derzeitige Beschäftigungs- und Finanzierungsstruktur des „Sozialkombinats“ ist kompliziert. Sie wird noch komplizierter dadurch, daß die öffentlichen Gelder – von Arbeitsämtern, Bezirk, Senat, Bund und Europäischer Union – knapp werden.
Momentan sind in Friedrichshain 415 Arbeitslose in ABM beschäftigt, wobei die „Brücke“ inzwischen 90 Prozent ihrer Tariflöhne selbst erwirtschaftet. Für die Finanzierung der Stellen wurden alle gesetzlichen Möglichkeiten angebohrt: 34 Vorruheständler wurden über spezielle Programme eingestellt, 29 Stellen holte man sich über eine Bestimmung im Arbeitsfördergesetz, mit der speziell ostdeutsche Kommunen entlastet werden sollen, noch einmal 55 über dessen „Lohnkostenzuschuß“-Pendant im Westen. 48 Jobs wurden über das Bundessozialhilfegesetz finanziert, weitere 32 Regiekräfte beschäftigt die „Brücke“ direkt. Inzwischen denkt man bereits über eine Umwandlung der GmbH in eine Aktiengesellschaft nach. Dafür wurde das Stammkapital der Gesellschaft schon mal auf 100.000 Mark aufgestockt.
Als vom Arbeitsamt geförderter Sozialbetrieb darf die „Brücke“ laut den gesetzlichen Vorschriften nur Langzeitarbeitslose einstellen, denen laut Ulrike Ahl „immer mehr die Gruppen- und Teamfähigkeit flötengegangen ist: Die haben ihre Persönlichkeit schon enorm abgebaut. Es sind nun auch immer mehr Leute dabei, die Alkoholprobleme haben. Demnächst wollen wir da Therapiemöglichkeiten schaffen.“ Daneben hat die Obdachlosigkeit im Bezirk Friedrichshain stark zugenommen, hierbei arbeitet die „Brücke“ mit einem Projekt in der Boxhagener Straße zusammen, in dem sich auch die von der ehemaligen Philosophin Sonja Kemnitz herausgegebene Obdachlosen-Zeitung motz eingemietet hat. Die „Brücke“ liefert dort und am Hauptbahnhof 180 Essen täglich an. Für Kinder aus einkommensschwachen Familien betreibt die „Brücke“ inzwischen zwei Ferienlager in Dammswalde (bei Oranienburg): „Wir sind aus dem Bezirk mittlerweile kaum noch wegzudenken“, heißt es bei der „Brücke“.
Um es dem Finanzamt recht zu machen, riskiert die Brücke einen Konflikt mit dem Arbeitsamt, das mit seinen Mitteln keine „wettbewerbsverzerrende Konkurrenz“ gegenüber den Privatunternehmen fördern darf. Dazu gibt es eine Reihe von Auflagen: So darf die Wäscherei der „Brücke“ beispielsweise nur Kunden gegen Vorlage einer „Befreiung vom Medikamenten-Eigenanteil“ bedienen – also fast nur arme ältere Leute, die unter 1.400 Mark Rente bekommen. In Friedrichshain sind das jedoch über 80 Prozent der Alten, so daß Ulrike Ahl sagen kann: „Unsere Wäscherei läuft sehr gut!“ Anders sieht es bei den Wohnraum-Renovierungs-Brigaden aus: Deren für alte Leute günstige Angebote werden nämlich immer häufiger von schwarz arbeitenden Handwerkergruppen unterboten, die noch weniger verlangen als die zwar knapp kalkulierende aber auf den Ost-Metalltarif verpflichtete ABM-Gesellschaft. Probleme bereiten auch die meist ebenfalls auf befristeter ABM-Basis arbeitenden Projektleiter – „die Zweite Reihe“, die viel taktieren muß und nicht selten dabei überfordert ist: „Sie dürfen zum Beispiel das Handwerk nicht verärgern und nicht mit der Presse zusammenarbeiten“, weitere Einschränkungen gibt es etwa bei den Geldern aus Brüssel: „Da dürfen wir unter anderem keine Regiekräfte bei jugoslawischen Asylbewerbern einsetzen, weil die nicht aus einem EU- Land kommen. Den Rußlanddeutschen wiederum dürfen keine ABM-Stellen angeboten werden, weil sie hier keine Sozialabgaben geleistet haben. Mit denen machen wir jetzt aber eine anderthalbjährige Umschulung auf Heizung-Klima-Sanitär, danach übernimmt sie die Innung – noch mal für anderthalb Jahre, und dann bekommen sie dort ein anerkanntes Zertifikat. Die Not erzwingt solche Kooperationen“, meint Ahl.
Auch die mit Bommi Baumann etwa: Der ehemalige Westberliner „Terrorist“ ist jetzt Bauleiter in Ostberlin, wo er in der Frankfurter Allee im Auftrag eines Therapievereins ein Wohn- und Arbeitsprojekt für ehemalige Drogenabhängige leitet – und dabei auch auf ABM-Kräfte oder Rußlanddeutsche von der „Brücke“ zurückgreift. Im Ostberliner „Verband der ABM-Gesellschaften“ lernte man sich kennen. Das Westberliner Pendant nennt sich „A 3“.
Es gibt gelegentliche Treffen beider Verbände, auf denen zum Beispiel die neue „Zumutbarkeitsregelung“ – nach der Arbeitslose gezwungen werden können, auch schlecht bezahlte Arbeit anzunehmen – kritisiert wird. Es geht bei diesen Treffen aber auch um die Suche nach neuen unkonventionellen Beschäftigungsformen, die teilweise inzwischen selbst von den Arbeitsämtern informell empfohlen werden: So rät man etwa beschäftigungslosen Ost-Regiekräften, sich einfach zwecks West-Anstellung dort polizeilich anzumelden. Unkonventionell war auch eine „Kündigung mit Wiedereinstellungsgarantie nach einem Jahr Arbeitslosigkeit“, die unlängst die Kindergärtnerinnen mehrerer Kitas in einem Ort vor den Toren Berlins unterschrieben. Die Kommune brauchte damit keine einzige Stelle zu streichen und konnte sich überdies die Generationenmischung in ihren Kita-Kollektiven erhalten. Leider blieb dieses „Modell“ nicht im Informellen, sondern wurde veröffentlicht – und flog deswegen auf.
Mit dem Auslaufen der letzten Arbeitsplatzgarantien bei Narva- Priamos Ende 1995 plante die „Brücke“ vorsorglich 200 zusätzliche ABM-Stellen ein und mietete dazu neue Räume. Doch kurz darauf kürzte Bundesfinanzminister Theo Waigel schon die Arbeitslosenunterstützung um 3,5 Milliarden. Mit der Folge, daß die Arbeitsämter überall ihre Projekte zusammenstrichen. Für die „Brücke“ bedeutete dies erst einmal das Aus für die 200 Stellen. Auch einige ihrer Beratungsdienste mußten „pausieren“, das heißt die Berater arbeiten weiter, sind aber – bei unterbrochener Maßnahme – wieder arbeitslos gemeldet.
„Man hat die ABM-Gesellschaften entstehen lassen, um das Ostvolk ruhig zu halten, und jetzt stimmt alles hinten und vorne nicht mehr, weil die Arbeitslosenzahlen weiter steigen“, meint Frau Ahl, die dennoch den Kürzungen auch etwas Positives abgewinnen kann: „Wir können sowieso nicht immer nur expandieren, wir müssen uns auch nach innen konsolidieren.“
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