Rund und ein Kosmos für sich

Fußball ist Pop, Fußballsongs sind aber keine Popmusik: Die CD „Spitzenreiter“ ist von Müller bis Diederichsen Schrott – aber unwiderstehlich mitreißend  ■ Von René Martens

Was haben der Fernsehmoderator Götz Alsmann, der Popgelehrte Diedrich Diederichsen und der Trainer-Hiwi Gerd Müller gemeinsam? Nicht viel, so scheint es. Immerhin aber waren sie alle schon an Platten beteiligt, die etwas mit Fußball zu tun haben. Ihre Beiträge sind versammelt auf der soeben erschienenen CD „Spitzenreiter! 22 Goldene Fußballklassiker“. Die Unterschiede in der jeweiligen Vita der Herren deuten an, daß die stilistische Bandbreite der Platte ziemlich groß ist.

Der Sampler enthält 22 Stücke aus der Zeit zwischen 1964 und 1995. Darunter sind obskure Vereinshymnen auf Preußen Münster oder den VfB Leipzig, aber auch grundsätzliche Betrachtungen über das Wesen des Fußballs, hier angestellt von Frank Schöbel und der DDR-Nationalmannschaft („Ja, der Fußball ist rund wie die Welt“). Die Extreme markieren die alte Titelmelodie der „Sportschau“, die bisher nicht auf Tonträger erhältlich war, und die Free-Jazz-Miniatur „Traumendspiel: Elf Freunde müßt ihr sein/ Hrubesch“ von Diederichsens Nachdenklichen Wehrpflichtigen.

Jeder Fußballfan weiß es zu würdigen, wenn sich Anhänger anderer Klubs originelle Gesänge einfallen lassen und sie eindrucksvoll rüberbringen. Mit Fußballiedern verhält es sich genauso, auch wenn es sich um Gunstbezeugungen für noch so unsympathische Vereine handeln mag.

Auch wer sich normalerweise nie eine Platte mit Fußballsongs kaufen würde, singt die Stücke von „Spitzenreiter!“ gern mit, weil sie sich von berüchtigten Vereinsverherrlichungen wie „FC Bayern – forever number one“ grundlegend unterscheiden. Da Fußball an sich schon viele Erwartungen erfüllt, die man an Pop stellt, muß ein Fußballied längst nicht so viel leisten wie ein fußballfreies Stück Popmusik. Will sagen: Songs über Fußball sind ein Kosmos für sich, man kann an sie nicht dieselben Maßstäbe anlegen wie an andere Musik. Ein Musikkritiker, der vom Spiel nichts versteht, würde nur zwei der 22 Stücke durchgehen lassen: „Zurück in die erste Liga“, einen House-Track zum Wiederaufstieg, den Redakteure des Bochumer Fanzines „Vfoul“ hellsichtigerweise schon vor einem Jahr aufgenommen haben, sowie das Werder Bremen gewidmete Punkstück „Deutscher Meister wird der SVW“ von der Band Die Mimmi's. Der Rest, würde so ein Kritiker sagen, ist Schrott.

Solchen Experten entginge die wahre Größe mancher Songs. Für einen davon ist der Gastronom Alberto Colucci verantwortlich: „Tor! Lilien vor“ ist eine überkandidelte Italo-Disko-Hommage an Darmstadt 98 – ein Stück, das nicht funktionieren würde, wenn Colucci über etwas anderes sänge als einen Verein. Der unwiderstehlichste Song des Samplers entstand 1984 und stammt von der Combo Michael Petersen und die Kuddls von der Elbe. Die Coverversion des Slade-Hits „My Oh My“ ist hundertprozentig kurvenkompatibel und deshalb so entwaffnend, weil die Jungs dreist behaupten: „Wir sind schlau/Wir sind Fans vom HSV“. Als ob man sich das aussuchen könnte, zu welchem Verein man hält! Wer einmal ernsthaft darüber nachgedacht hat, warum er einem bestimmten Klub verbunden ist, weiß, daß Schlauheit auf diese Entscheidung – wenn es denn überhaupt eine war – garantiert keinen Einfluß hatte.

„Spitzenreiter!“ wird übrigens auch während der EM gute Dienste leisten. Wem inmitten einer Fernsehübertragung wieder einmal deutlich wird, daß selbst ein womöglich hochklassiges Länderturnierspiel im Vergleich zu Vereinsfußball unaufregend ist – der kann mit dieser CD seinen Blues lindern. Sie macht nämlich auf mitreißende Weise deutlich, daß nur der Klub zählt – und sonst nichts.

Verschiedene: „Spitzenreiter! 22 Goldene Fußballklassiker“. I Saw Hans Walitza Kick That Ball Records/RTD