Das Portrait: Irans Querdenker
■ Karim Sorousch
Der Martin Luther Irans fürchtet um sein Leben. „Ich werde ständig bedroht und belästigt“, schreibt Abdol Karim Sorousch in einem offenen Brief an Regierungschef Rafsandschani. Den Auslöser seiner Probleme hat der theologische Querdenker in dessen Regierung ausgemacht: im von konservativen Klerikern besetzten Ministerium für Information und Religiöse Führung.
Sorousch kritisiert die Vermischung von Politik und Religion. Im Ausland hat ihm dies den Titel eines Reformers nach dem Vorbild Martin Luthers eingebracht, im Iran vor allem Probleme.
In der vergangenen Woche hatten Islamisten der „Ansar Hisbollah“ (Partisanen der Partei Gottes) zum dritten Mal eine Vorlesung des Professors an der Uni Teheran aufgemischt. Schläger verprügelten Studenten.
Es ist ein offenes Geheimnis, daß die Auftraggeber der „Ansar Hisbollah“ hohe Funktionen im Staatsapparat besetzen. „Herr Präsident, Sie müssen all die Drohungen, Einbestellungen und Beschränkungen des Informationsministeriums gegen mich genau kennen. Es verweigert mir meine grundlegenden Rechte als menschliches Wesen, während es die Schlägertruppen beschützt und ermuntert“, schreibt Sorousch an Rafsandschani.
Dabei ist der Mittfünfziger alles andere als ein Vorzeigedissident. In Großbritannien studierte er Pharmazie und lernte nebenbei die Ideen Karl Poppers kennen. In den Iran kehrte er 1979, als Unterstützer der Islamischen Revolution, zurück. Von 1980 bis 1984 leitete er den Rat für Kulturrevolution.
Daß Sorousch nicht mehr vorbehaltlos zu dem System stand, das er einst verfochten hatte, zeigte sich im Mai 1995. Die systemkritische Zeitschrift Kiyan veröffentlichte einen Beitrag, in dem Sorousch der schiitischen Geistlichkeit vorwarf, sich in einen korrupten, machtsüchtigen Haufen verwandelt zu haben, der die Religion für politische Zwecke mißbrauche. Wegen seiner Thesen wurde Sorousch zum gern gesehenen Gast bei Kolloquien und Tagungen im Ausland. Ein Umstand, der ihm im Iran den Vorwurf des „Landesverräters“ einbrachte. Unter diesem Druck wurde Sorousch vorsichtiger. Bei Vorträgen im Ausland zog er sich in ein wissenschaftliches Schneckenhaus zurück. Auf die Verhältnisse im Iran angesprochen, sagte er letztes Jahr in Berlin: „Kein Kommentar. Ich bin im Himmel der Epistemologie.“ Doch auch dort ist er seines Lebens nicht sicher. Thomas Dreger
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