Gelöbnis provoziert Ausnahmezustand

Erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg sollen in Berlin Rekruten öffentlich Treue und Tapferkeit geloben. Gelöbnisgegner ermuntern die Soldaten zum Fernbleiben der Veranstaltung  ■ Aus Berlin Christian Füller

Der General ist zufrieden. „Natürlich freut er sich“, sagt seine Sprecherin, „daß Berlin auf dem Weg in die Normalität ist.“ Normal ist für den Berliner Innensenator, Generalleutnant a.D. Jörg Schönbohm, daß Wehrpflichtige ihren Eid aufs Vaterland in aller Öffentlichkeit ablegen. In Berlin, der Hauptstadt der Verweigerer, ist das allerdings höchst ungewöhnlich. Am 31.Mai sind Rekruten hier erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg aufgerufen, vor dem Charlottenburger Schloß ein Gelöbnis abzulegen. 300 Rekruten der Potsdamer Panzerbrigade 42 sollen dann ihren Eltern, dem Bundespräsidenten und Verteidigungsminister Volker Rühe öffentlich versprechen, „das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen“. Um Verteidigung, sagen die Gegner des Gelöbnisses, geht es nicht. Die „Stoppelhopser“, wie sie die Rekruten liebevoll nennen, sollen das Soldatische wieder hoffähig machen, meint Christian Herz von der „Aktion Gelöbnis verhindern“.

„Jeder Krieg beginnt mit propagandistisch-psychologischer Kriegführung“, sagt er und verweist auf Volker Rühe. Der sucht für seine schlaffe Truppe eine neue Aufgabe: Kampfeinsätze out-of- area, auf die „wir weder materiell noch psychologisch vorbereitet sind“. Dem Bundesverteidigungsminister geht es darum, „die ganze Gesellschaft auf diese neuen Aufgaben vorzubereiten“.

Das mag in Berlin nicht recht gelingen. Gegen das Gelöbnis opponieren nicht nur Kriegsdienstgegner, sondern auch die Jusos und die Bündnisgrünen. Selbst der Stadtbezirk Charlottenburg ist von dem Gelöbnis nicht zu überzeugen. Die SPD-Bezirksbürgermeisterin Monika Wissel würde am liebsten das hübsche Lustschloß der Hohenzollern nicht zur Verfügung stellen. Ihre Baustadträtin, die grüne Beate Profé, meint: „Wir prüfen, an welchen Stellen wir die Zusammenarbeit mit der Bundeswehr verweigern können.“

Doch die Möglichkeiten der BezirkspolitikerInnen sind beschränkt. Eine Weile kursierte das Gerücht, das Gelöbnis werde abgesagt, weil der Stadtteil bürokratischen Ungehorsam leiste. Doch eine große Koalition alter Kameraden entzog dieser Mär schnell den Boden. Neben dem Ex-General Schönbohm (CDU) ist da noch der Reservist und SPD-Fraktionsvorsitzende Klaus Böger. Und dem Regierenden Bürgermeister Eberhard Diepgen ist es gar „ein Herzenswunsch“, daß in Berlin ein soldatischer Aufmarsch stattfindet. Diepgen hat die Bundeswehr zum Gelöbnis eingeladen, weil so etwas einfach zu einer Hauptstadt gehöre.

Selbst eine Gegendemonstration scheint fehl am Platze. Die „Aktion Gelöbnis verhindern“ hat sie zwar angemeldet, mußte aber schnell erkennen, daß die Demokratie in sicherer Entfernung ihr Ende findet: Der Demozug darf nur bis zur Deutschen Oper wandern, und die liegt gut anderthalb Kilometer vom Ort des Gelöbnisses entfernt. Nun plant die Aktion, die von der Kampagne gegen Wehrpflicht, Zwangsdienste und Militär getragen wird, andere Gegenmaßnahmen. „Das Gelöbnis wird nicht in Ruhe und nicht in der gewohnten Form abgehalten“, verspricht Herz.

Innensenator Schönbohm läßt vorsorglich verlautbaren, „daß in angemessener Weise Sicherheit hergestellt“ werde. Er will Normalität – notfalls per Ausnahmezustand. Auch parlamentarisch mußten die Gelöbnisverhinderer gleich zwei Schlappen hinnehmen. Sowohl im Berliner Abgeordnetenhaus als auch in der Verordnetenversammlung des Bezirks fand ihr Wunsch nach Verlegung des ungeliebten Treueschwurs in die Kasernen keine Mehrheit – unter anderem weil Abgeordnete von SPD und Grünen zu früh nach Hause gegangen waren.

Für Überraschung kann nur noch Ferdinand von Schill sorgen. Pünktlich am 31.Mai feiert der notorische Befehlsverweigerer seinen 187. Todestag. 1809 war Schill – trotz gegenteiligem Befehl – mit einem Leibhusarenregiment von Berlin ausgerückt, um gegen die Franzosen zu ziehen. Der preußische König war erbost. Schill kostete die Verwegenheit den Kopf. Die Kampagne gegen Militär empfiehlt den Rekruten nun Schillschen Mut: Rechtzeitig vor dem Gelöbnis – Ausrücken!