Kreiser, Kreise, Kreisel, Kreischen

■ Aus Hamburgs Kulturtempeln: „Yvonne, die Burgunderprinzessin“ im Schauspielhaus, „Angst essen Seele auf“ im Theater im Zimmer und Ingun Björnsgaard und Daniel Barenboim mit Tanz und Musik auf Kampnagel

Yvonne, die Burgunderprinzessin

Schön, wenn das Häßliche nicht häßlich ist, das Schöne aber auch nicht, und es trotzdem eine Dissonanz zwischen beiden gibt. Yvonne, laut Autor Witold Gombrowicz ein unansehnliches, stinkendes Mädchen, ist hübsch. Die Hofgesellschaft, blasiert wohl, aber nicht unappetitlich gemeint, ist dagegen auch fürs Auge. Und trotzdem funktioniert das Stück des polnischen Schriftstellers um den häßlich-undurchschaubaren Fremdkörper des Mädchens auf einer polierten Oberfläche höfischer Konvention.

Denn Regisseurin Karin Beier, ab nächster Saison fest am Haus, variiert den Widerstreit zu einer Reibung zweier Masken. Hier die Hofgesellschaft, manieriert und gepudert von der Haut bis vor die Seele. Dort die aus einer Lust der Langeweile vom Prinz zur Verlobten erkorene Yvonne, deren Schutz des Autismus gegen eine sich öde kreiselnde Welt die Ordnung aus der Bahn stürzt. Prinz, König, Königin und Kammerherr machen sich zum Narren, um die Verschlossenheit des Wesens zu knacken, Yvonne bleibt konsequent hinter ihrem Wall des Schweigens und der Verrenkungen und muß dafür natürlich sterben – durch eine Fischgräte.

Gombrowicz' tragikomische Farce von 1935 hat endlich auch Hamburg erreicht und Beiers Inszenierung besticht durch präzise Arbeit an der sanften Lustigkeit. Caroline Ebner als zeitgenössische Schlampe, desinteressiert, aber klug, abweisend, aber frei, macht ebenso schmunzeln wie Herbert Fritsches Otto-Karikatur des Komikers, dem es plötzlich ernst kommt. Ilse Ritter als königlich poesievernebelte Verwöhntheit, Werner Rehm, ein Herrscher mehr von Selbstironie als von Autorität, und Kammerherr Wolf Aniol als Dritter des königlichen Bundes mal voll tuntiger Demut, dann Führer mit herrlichem Zorn, sorgen für unterhaltendes Schauspielertheater ohne größeren Tiefsinn.

Das Verhängnis der unfreiwilligen Störung gibt aber in seiner Entfaltung viele weise Blicke auf das Marionettenspiel der Psyche mit dem Menschen frei. Ein Theaterabend voll Spiel und Witz und einem unmöglichen Ergebnis. Im Kampf von Schönheit gegen Schönheit verliert Schönheit (oder gewinnt Schönheit).

Till Briegleb

PS: Den Leserinnen, die mich bei der halb versehentlichen, halb absichtlichen Drängelaktion an der Kasse ertappt haben, sei hiermit Abbitte geleistet. Wichtig-wichtig ist ziemlich scheiße!

Angst essen Seele auf

Die stumpf einwirkende Wut von Fassbinders Wortlosigkeit erzeugt beim bedachten Zuhörer eine Art Besinnungslosigkeit. Die Sprachlosigkeit seiner Figuren, denen die Gesellschaft jegliche Nuancierung ihrer Gefühle und Nöte entwendet hat, läßt sich durch Gesten der Annäherung nicht beruhigen, geschweige denn stillen.

Angst essen Seele auf gehörte als Film vor 20 Jahren in die Reihe sozialer Dramen, die die unmenschliche innere Isolation zum Thema hatte. Am Donnerstag hatte Fass-binders Werk im Theater im Zimmer als Theaterstück Premiere.

Der Blick ist gerichtet auf Emmi und Salem, die sich in einer deutschen Provinzstadt kennenlernen. Emmi hat als alte verwitwete Putzfrau ihr Bedürfnis nach Nähe nicht verloren und trifft so auf Salem, einem jungen Marokkaner, der tags im Schlachthof ochst und sich abends betrinkt. Beide Figuren werden von den sie umgebenden Menschen höchstens geduldet.

Eine Woge des Hasses baut sich auf, als Emmi und Salem ihre Zuneigung, Anziehung und schließlich Liebe zueinander mit einer Heirat beschließen. Die wenigen Vokabeln, die der Krämer, das Barmädchen, Emmis Kinder und Nachbarn gelernt haben, werden jetzt geübt: „Hure, Schwein, die schrecken ja vor nichts zurück.“

Die Inszenierung eines Notteams unter Christoph Roethel, das nach der Trennung von Regisseur Sebastian Orlac kurz vor der Premiere das Stück zuende brachte, schafft mit einem beeindruckenden Ensemble eine dichte, abbildende Version der Filmvorlage. Der weiße Schleiflack-Bühnenraum mit stilisiert roten Bänken dient als Bar genauso überzeugend wie als Küchenecke. Im schummrigen Hinterbühnenraum spielen die Treppenhausszenen.

Eva Zlonitzky spielt die Emmi als eine grundgute deutsche Hausfrau, die an ihrer jungen Eroberung zwar zweifelt, sie aber mit aller Kraft festhält und verteidigt. Thomas B. Hoffmann als Salem überzeugt großartig in seinem Spagat als menschelnder Ausländer – „In Marokko Mama nie allein lassen“ – einerseits und seinem Angekotztsein von Emmis Mütterlichkeit, der er durch die erotische Liaison mit einem Barmädchen entkommt.

Angst essen Seele auf beschreibt einen Kreis der Isolation und ist in der TiZ-Inszenierung so rund wie innen hohl. Aus der gesellschaftlichen Isolation befreien sich die beiden souverän, um dann in die Isolation ihrer Beziehung zu geraten. Am Ende bleiben sie trotz aller Schwächen zusammen.

Vor zwanzig Jahren kam die vorgeführte Sprachlosigkeit mit dem unerwarteten Happy-End einem Aufruf zur Toleranz gleich. Die Theaterversion steckt einem die nicht begriffene Toleranz wie einen besudelten Lappen in den Mund. Das verdiente wortlosen, heftigen Applaus. Elsa Freese

The Flux Position...

Im Schein einer sie direkt von oben beleuchtenden Lampe sitzt eine einzelne Frau auf dem Boden, die Knie im Lotussitz der größten Konzentration und Entspannung, die Handflächen nach oben gedreht, Daumen und Zeigefinger zum Energiering geschlossen. Wie in schubweisen Dr. Jekyll-und-Mr.Hyde-Verwandlungen hebt sie momentweise ab in augenverdrehte Innerlichkeit, nur um gleich wieder aufzuschrecken, ins Publikum zu grinsen, ins Publikum zu starren oder aggressiv zu stieren.

Die stille Eingangssequenz von Ingun Björnsgaards The Flux Position Of An Insulted Eye scheint den Ton des Abends ebenso vorzugeben wie die Vorgehensweise der in Norwegen seit Jahren gerühmten und mehrfach preisgekrönten Choreografin: Eine „klassische Position“ wird eingenommen, aufgenommen, dann aber ironisch, hintergründig grinsend gebrochen, kurz durchbrochen, also „zitiert“, nur um gleich wieder ernsthaft aufgenommen zu werden.

Das Schweben zwischen ernsthafter Ausführung klassischer Gesten, verspielt-ironischem Zitat und ganz eigenen Bewegungsfolgen macht genau den Reiz dieses Abends aus, der nicht das Wagnis der großen Neuerung sucht, sondern den ständigen Grenzgang. Die Formensprache paßt zum durchgängigen Thema.

Von Camille Paglias polemischer Geschlechterauseinandersetzung Sexual Persona hat Björnsgaard sich inspirieren lassen und geht doch alles andere als polemisch vor. Mit ihren vier Tänzerinnen und drei Tänzern füllt sie – zur ganz eigenen Dynamik der Musik mehreren Bachs – die uralte Geschichte von der Unfähigkeit zur Nähe mit ganz neuen, überraschenden Gesten. Das augenfälligste Beispiel: ein langer Pas de deux, der ganz wie überliefert beginnt, mit Hebefiguren, graziler Weiblichkeit, stemmendem Mann, den zuerst nur ein Blick entlarvt, dann eine verrutschte Geste, ein Ausrutschen auf der Schulter, eine Drehung, die zum problematischen Wende-Akt wird, ein Knie im Auge, dann Unsicherheiten zuhauf, daß es immer komischer wird.

Dabei gibt Björnsgaard die Unsicherheit keinesfalls der Lächerlichkeit preis. Nur einem wiedererkennenden, leicht traurigen Lächeln. Ein schöner Abend.

Thomas Plaichinger

Barenboim spielt Tango

Wenn ein First-Class-Pianist und -Dirigent mal etwas ganz anderes machen will, steht er damit nicht alleine da. Wenn der in Buenos Aires geborene und dort aufgewachsene Daniel Barenboim sich in so einem Moment für den Tango entscheidet, ist das gut verständlich: zurück zu den Wurzeln, zur Muttersprache, zur Muttermusik. Und wenn die CD, die dabei herauskommt, auch noch Mi Buenos Aires Querido (Mein geliebtes Buenos Aires) heißt, dann kann man das Kitsch nennen, aber auch gepflegtes Latino-Lebensgefühl.

Ungewöhnlich ist also nicht das Projekt an sich, sondern das, was am vergangenen Donnerstag daraus gemacht wurde: Ausgerechnet auf Kampnagel präsentierte Barenboim seine neue Platte, gemeinsam mit den ruhmesreichen Kameraden Rodolfo Mederos (Bandoneon) und Héctor Console (Ex-Kontrabassist von Astor Piazzolla). Auch die Große Musikhalle wäre zu einem solchen Anlaß bei Kartenpreisen bis 150 Mark sicher ausverkauft gewesen, und so blühte der Schwarzhandel um Tickets zu ursprünglichen 35 Mark.

Angenehm zu wissen, daß die CD im vergangenen Jahr in nur zwei Tagen aufgenommen wurde, und erfreulich festzustellen, daß die Herren seitdem nicht zu viel geübt haben.

Bei den teils extrem ausgekünstelten Kompositionen und Interpretationen der Werke eines Piazzolla oder eines Carlos Gardel vertüdelten sich die drei hier und dort, was Leidenschaft ins Spiel brachte. Verwirrung kam dazu, als sie nach einer halben Stunde plötzlich aufstanden und abhauten. Erst nach einigen ganz stillen Minuten tauchten die Musiker wieder auf und spielten noch eine Stunde lang zwischen großen Ehrerbietungen.

Richtig stilvoll plaziert wäre ein derartiges Konzert wohl eher in einem urigen Club, dumpf, verqualmt und cocktailsüß. Wie's war, erinnerte alles doch arg ans Schleswig-Holstein-Musik-Festival: nicht Fisch, nicht Fleisch – weder auf der Bühne noch im Saal. Aber schön war's trotzdem, irgendwie.

Nele-Marie Brüdgam