„Einfach so herumlaufen“

■ Die Kids in Sandbek und Neuwiedenthal machen Lärm und Müll. Eine Rollschuhbahn aber bekommen sie nicht. Und die Verwaltung muß sparen Von Patricia Faller

asketballkörbe, Fußball- und Volleyballplätze, Tischtennisplatten, Kinderdiscos, Rollschuhbahnen, Wasserspiele zum Planschen, mehr Blumen, vielleicht einen Garten oder einen Kinderbauernhof – es sind eher bescheidene Wünsche, die Hamburgs „vergessene Kinder und Jugendliche“ in den Siedlungen Sandbek und Neuwiedenthal äußern. Wenn man sie aber danach fragt, was sie denn in ihrer Freizeit tun, dann sagen die meisten „einfach so herumlaufen“ oder „fahrradfahren“.

Im Vergleich zu Gesamt-Hamburg leben in den beiden Großsiedlungen, die in den 60er und 70er Jahren auf die grüne Wiese gepflanzt wurden, überdurchschnittlich viele Kinder und Jugendliche. Beabsichtigt war dort vor allem Wohnraum für Familien – aber eben nur zum Wohnen. Vergessen oder verdrängt wurde anscheinend, daß diese sich auch mal außerhalb ihrer vier Wände treffen wollen und Möglichkeiten für Freizeitbeschäftigungen benötigen. Denn freie Zeit haben viele BewohnerInnen mehr als genug. Sie sind arbeitslos, nachdem in den 80er Jahren in Harburg kräftig Arbeitsplätze abgebaut wurden. Mangels anderer Möglichkeiten treffen sich die Jugendlichen in Treppenhäusern, auf der Straße, in der Nähe von S-Bahnhöfen oder in Einkaufszentren. Aber auch dort sind sie nicht erwünscht: Sie machen Lärm, hinterlassen Müll, kritisieren die Erwachsenen. Bänke werden abgebaut, damit die Jugendlichen sich verziehen.

Erst wenn etwas passiert, wie nach dem Zugunglück in Sandbek, plagt das schlechte Gewissen: Hat man vielleicht doch zu wenig für die Jugendlichen getan? Erst einmal geht man aber polizeilich gegen sie vor.

Die schlechte infrastrukturelle Ausstattung gilt nicht nur für den Kinder- und Jugendbereich, wie die Arbeitsgemeinschaft Süderelbe, in der sich 60 soziale Einrichtungen und Initiativen zusammengeschlossen haben, beklagt. Dort ist sie aber besonders offensichtlich. Das fange bei Kindertagesstätten an, die vor 30 Jahren eigentlich nur provisorisch in Wohnungen eingerichtet wurden, weil sie später einmal ein neues Gebäude bekommen sollten. Darauf warten sie noch heute wie die Kita Wümmeweg in Neuwiedenthal.

Jede Siedlung habe zwar ihr Jugendzentrum, einen Bauspielplatz und ein Spielheim, die seien aber personell und finanziell schlecht ausgestattet. Kleinere Initiativen und selbstverwaltete Jugendtreffs fehlen, so die Arbeitsgemeinschaft. Denn Jugendzentren erreichen nur einen kleinen Teil der Jugendlichen mit ihren offenen und speziellen Angeboten. Außerdem sind die Öffnungszeiten begrenzt. Und am Wochenende, wenn Jugendliche am meisten Zeit haben, sind sie geschlossen.

Kommerzielle Freizeitangebote können sich viele Kinder und Jugendliche nicht leisten, abgesehen davon, daß es etwa auch kein Kino in nächster Nähe gibt. Viele würden auch häufiger in die Hamburger Innenstadt fahren, wenn sie das Geld dazu hätten. Wegen der hohen Arbeitslosigkeit lebt fast die Hälfte der unter 17jährigen von Sozialhilfe. Da sind „Extratouren“ nicht drin.

Die Öffnungszeiten der Jugendfreizeitzentren auszuweiten, ist aus finanziellen Gründen aber nicht möglich, sagt das Vorstandsmitglied Angelika Kubasik vom Verein Nöldekestraße, der seit einem Jahr das Sandbeker Freizeitzentrum betreibt.

Weil nicht alle Jugendlichen mit den herkömmlichen Angeboten erreicht werden können, wurde 1988 die Straßensozialarbeit eingeführt. Im März dieses Jahres ist ein Strassensozialarbeiter von einem Jugendlichen mit einem Messer angegriffen worden. Die Schuld dafür tragen nach Ansicht der Arbeitsgemeinschaft Süderelbe die Bezirksamtsleitung und der Sozial- und Jugenddezernent, wie sie in einem offenen Brief an den Harburger Bezirksamtsleiter Michael Ulrich schreibt. Denn seit zwei Jahren würde eine zweite Straßensozialarbeiterstelle nicht besetzt und Sachmittel gekürzt. So könne man den Jugendlichen mit ihren vielschichtigen Problemen nicht gerecht werden.

„Wir haben Sparauflagen“, rechtfertigt der Harburger Jugend- und Sozialdezernent Holger Stuhlmann die Vakanz. Um keine der Einrichtungen schließen zu müssen, sollen alle ihre Leistungen herunterfahren, heißt die Devise. Er räumt zwar ein, daß bei den Kindern und Jugendlichen am falschen Ort gespart wird, aber er habe halt seine Vorgaben.