Zurück marschmarsch in die Schule

■ 58 abgeordnete OberstufenlehrerInnen sollen im nächsten Schuljahr wieder unterrichten / Wer, wohin, warum – noch ist nichts geklärt, aber die Aufregung ist heute schon allseits groß

„Auf Lehrer läßt sich immer gut schimpfen“, sagt Henning Eick. Der Referent der Bildungsbehörde weiß, wovon er spricht. Er selbst gehört zu der Sorte Lehrer, die in Zeiten von Geld- und Lehrermangel immer wieder ins Visier von Eltern und PolitikerInnen geraten: Er ist einer von ungezählten abgeordneten LehrerInnen, die sich auf 150 Stellen in verschiedenen städtischen Einrichtungen verteilen – und dort mit ganzem oder halbem Deputat die universitäre Lehrerausbildung oder die Forschung vorantreiben, Bücher in Jugendbibliotheken verleihen, in Volkshochschulen unterrichten, in Kultur- und Bildungseinrichtungen oder -behörde arbeiten.

Die Abordnungen begannen vor rund neun Jahren. Damals fiel der Stellenstopp im Öffentlichen Dienst mit einem Überhang an LehrerInnen in der Sekundarstufe II zusammen. Statt die PädagogInnen zu entlassen, übernahm man sie in andere Tätigkeiten, für die allenthalben die Bildungsbehörde zahlt – ebenso wie für ein paar hundert LehrerInnen, deren Unterricht ausfällt, weil sie stundenweise „besondere Aufgaben“ wahrnehmen: Bildungsplanung, Schullaufbahnberatung oder andere Sonderaufgaben. „Zusammen sind das 250 Stellen außerhalb der Schulen“, bilanziert Behördenmitarbeiter Eick. „Das können wir uns so nicht mehr leisten.“ Nun organisiert er federführend den Rückruf der KollegInnen in die Klassenräume.

58 Stellen sollen bis zum ersten August wieder an die Schulen zurückverlegt werden, um den geschätzten Schwund von 100 LehrerInnen durch Pensionierung noch in diesem Jahr auszugleichen. „Aber wer jetzt noch keine Benachrichtigung hat, den trifft es noch nicht“, beruhigt Eick. Bis 1997 allerdings werden viele KollegInnen Post von ihm bekommen. Spätestens dann sollen 150 Stellen der 250 ausgelagerten Stellen wieder direkt dem Unterricht zugute kommen.

Unstrittig ist diese Aktion nicht. Vor allem betroffene Einrichtungen fragen an, wer warum schon jetzt in den Schuldienst zurückehren muß. Daß beispielsweise Bremens einzige abgeordnete Grundschullehrerin, die Sechs- bis Zehnjährigen halbtags die moderne Kunst im Neuen Museum Weserburg nahe bringt, wieder ganztags in die Schule soll, findet Weserburg-Kustodin Hanne Zech „völlig unverständlich“ – zumal die Kunsthalle bis 1997 wegen Renovierung geschlossen bleibt.

Auch aus den vier Ortsämtern Vegesack, Neustadt, Mitte und West kommt heftige Kritik. Daß die Deputation nun zustimmte, die KulturreferentInnen in den Ämtern halbtags in die Schule zu schicken, „wird auf Kosten der Stadtteile gehen“, fürchtet Robert Bücking, Ortsamtsleiter Mitte. Zugleich bescheinigt er den PolitikerInnen „völlig leeres Handeln“: Obwohl in der Deputationssitzung am Donnerstag weitgehende Eingkeit darüber geherrscht habe, daß die Ortsämter mit einer halben Lehrerstelle zu kurz kommen, hätten alle zugestimmt. Bückings Zweifel mindert auch ein Behördentrick nicht, nach dem die halbtags abgeordneten LehrerInnen künftig nur die 30 „normalen“ Urlaubstage bekommen – statt der ganzen Schulferien.

„Für Ganztags-Abordnungen galt das ja sowieso“, sagt Änne Klockgiesser, noch Kulturreferentin im Ortsamt Mitte. Sie ärgert sich mehr über etwas anderes: „Mein Abordnungsvertrag wurde erst im Dezember bis Sommer 1997 verlängert. Jetzt soll er nicht mehr gelten. Aber wenigstens auf Verträge muß ich mich doch verlassen können.“ Verläßlichkeit fordern die Betroffenen zu Recht, meint auch Erika Bosecker vom Personalrat Schulen – und ist sich in diesem Punkt mit Henning Eick völlig einig. „Wir in der Behörde leben doch vom Vertrauen der Lehrer“, sagt er. Einfach sei die schnelle Rückführung der KollegInnen auch aus anderen Gründen nicht: „Viele sind schon seit acht bis zehn Jahren aus dem Schuldienst. Die müßten sich völlig neu einarbeiten.“

Völlig unklar ist bislang jedoch, wo? Denn an ihren Schulen von damals werden die meisten der über 40jährigen RückehrerInnen nicht gebraucht – wegen der Fächerkombinationen, und weil der größte LehrerInnenbedarf sowieso in der Grundschule besteht. „Aber Grund- und SonderschullehrerInnen sind nicht abgeordnet“, sagt Eick. „Also gibt es kein geordnetes Rückführungssystem.“ Auch Personalrätin Erika Bosecker sieht schon „ein richtiges Personalkarussel“ auf die Schulen zukommen. Niemand habe einen Überblick über das genaue „Wohin“ der betroffenen LehrerInnen, bestätigen beide. Bereits im letzten Schuljahr wechselten schließlich 700 LehrerInnen die Schulstufe – wegen des großen Bedarfs in den unteren Klassenstufen.

Was immer mit den rückgeführten LehrerInnen geschehe – „es muß einvernehmlich passieren“, betont deshalb Bosecker. Sie weiß, daß viele LehrerInnen schon zur Rechtberatung waren – und daß es eine Gruppe von „Abgeordneten“ gibt, die ohnehin nie wieder in den Schuldienst zurück könnte – oder die sich sogar einen Berufswechsel überlegen.

Die abgeordnete Lehrerin im Gerhardt Marcks-Haus ist dafür ein berühmtes Beispiel: Sie habilitierte sich und nahm eine Professur in Osnabrück an. Auch ihr Kollege in der Kunsthalle gegenüber hängte den Lehrerberuf damals nicht aus Überdruß oder Angst vor Kindern an den Nagel, wie oft kolportiert wird. In den acht Jahren seiner Abordnung ist die Vorstellung, Diktate in der Schule abzuhalten, für den Deutschlehrer und Kunstpädagogen Willy Athenstädt undenkbar geworden. „Ich hatte damals auch ein Angebot aus Düsseldorf“, sagt er – und daß er in der aktuellen Rückkehr-Runde wohl „nicht gemessert“ wurde, weil er den unersetzbaren Bauleiter beim Umbau der Kunsthalle macht. ede