Objekte eines säkularisierten Opferkults

■ OSI-Professoren lasen an der Gedächtniskirche und wurden von BerlinerInnen ignoriert

Am Otto-Suhr-Institut (OSI) kann von verlängertem Ladenschluß keine Rede sein. Im Gegenteil: Das Gebäude der FU-Politologen macht wegen der Sparmaßnahmen jetzt zwei Stunden früher dicht als bisher. Doch nicht deshalb zogen sieben Professoren samt Studierenden am langen Donnerstag vor die Gedächtniskirche. Mit ihrem „Dienstleistungsabend“ wollten sie vielmehr einer breiteren Öffentlichkeit zeigen, was die Unis für das Geld leisten, das ihnen genommen werden soll. Als Eingeständnis früherer Versäumnisse mochte OSI-Professor Hajo Funke die Aktion nicht werten. „Wir sind präsent“, betonte er trotzig, „es liegt an der Öffentlichkeit, das zur Kenntnis zu nehmen.“

Auf die ungewohnte Vorlesungssituation außerhalb des Hörsaals reagierten die Professoren höchst unterschiedlich. Gesine Schwan kam ihre langjährige Erfahrung in der Kunst der öffentlichen Rede zugute. Ihr Thema „Mord ohne Schuld? Zur ethischen Erklärung der Verbrechen im Nationalsozialismus“ vermochte sie vermittels Komplexitätsreduktion auf die Aufnahmefähigkeit der Passanten herunterzutransformieren, wie Wissenschaftler es naserümpfend ausdrücken würden. Das änderte nichts daran, daß auch ihr fast nur Studierende zuhörten und die übrigen Berliner das Geschehen mit großstädtischer Gelassenheit ignorierten.

Ganz anders Herfried Münkler, der an der Humboldt-Universität politische Ideengeschichte lehrt und sich den OSIanern aus Solidarität hinzugesellte. Er trug, vom ungewohnten Ambiente völlig ungerührt, sein Manuskript vor, als handele es sich um eine ganz gewöhnliche Vorlesung. Vielleicht war es ganz gut, daß sein Vortrag für den virtuellen Durchschnittsberliner etwas zu anspruchsvoll war. Den hätte das ironisch eingeflochtene Zitat, die Autobahnen seien „Orte eines säkularisierten Opferkults“, schwerlich zu erhöhter Opferbereitschaft für die Uni- Finanzierung animiert.

Die anderen bewegten sich zwischen den beiden Extremen. Gerhard Göhler bemühte sich zwar um Verständlichkeit, was die von ihm heruntergebeteten Definitionen von Max Weber und Hannah Arendt im Spannungsfeld von „Macht, Gewalt und Demokratie“ aber kaum lebendiger machte. Hajo Funke rang sichtlich mit dem Zwang, sich „Zur politischen Psychologie der Gewalt im ehemaligen Jugoslawien“ in der knappen Zeit zu äußern. Ekkehart Krippendorff dagegen besann sich seiner Fähigkeiten als politischer Rhetor und kam dem Schwanschen Pol am nächsten, als er emphatisch über „Nation und Theater: Wagner und Verdi“ dozierte.

Der notorisch überbeschäftige Peter Steinbach war zackig wie immer und hatte schon nach der Hälfte der vorgesehenen Zeit alles gesagt, was er zu „Asylrecht und Asylpolitik in der Geschichte der Bundesrepublik“ sagen wollte. Das Thema konnte als einziges die Passanten begeistern. Einer von ihnen ergriff anschließend das Mikro und kramte tief in der Mottenkiste der populistischen Argumente, die vor drei Jahren zur Abschaffung des Asylrechts führten. Steinbach blieb gelassen und bedankte sich, bevor er zur Erwiderung ansetzte, artig für das Interesse an seinem Vortrag. Das zeige, daß der „Dienstleistungsabend“ seinen Sinn nicht verfehlt habe. Ralph Bollmann