Mengenlehre und Glühbirnen

■ Gestern wurde am Europa-Center die "Mengenlehre-Uhr" aufgestellt. Ihr Erbauer scheiterte am Glühbirnen-Kartell und starb unter mysteriösen Umständen

Ab gestern leuchtet sie wieder, die Mengenlehre-Uhr, an ihrem neuen Standort vor dem Europa- Center. Eigentlich nichts Besonderes: Doch hier handelt es sich um die erste Mengenlehre-Uhr der Welt des Berliner Erfinders Dieter Binninger, die Ausgangspunkt einer viel bedeutenderen Entwicklung, der „Ewigkeitsglühbirne“ war. Dieser Binninger kam auf geheimnisvolle Art zu Tode.

Mit dem Aufstellen der Uhr am Ku'damm 1975 war Binninger ständig mit dem Problem konfrontiert, daß die über 100 Glühbirnen in unregelmäßigen Abständen durchbrannten und ausgewechselt werden mußten. Für Binninger eine ruinöse Angelegenheit – und die Boulevardpresse höhnte über die Uhr: „Sie kann eine Menge: Nur nicht laufen!“

Bis dato gab es keine Alternative zu den Allgebrauchsglühlampen mit einer theoretischen Brenndauer von 1.000 Stunden. Binninger stand vor der Wahl, die Mengenlehre-Uhr wieder zu demontieren oder selbst eine Langlebensdauer-Glühlampe zu erfinden. 1979 meldete er das Patent für seine auf 150.000 Stunden Brenndauer ausgelegte Glühbirne an, was einer Lebensdauer von 50 Jahren entspricht. Die marktbeherrschenden Firmen Osram und Philips hatten „kein Interesse“ an seiner Entwicklung, wurden doch zu Beginn der achtziger Jahre in der BRD weit über 200 Millionen Glühbirnen verkauft. Eine massenhafte Produktion von Binningers Glühbirne hätte diesen Absatz gefährdet.

Binninger sah sich gezwungen, selbst die Produktion seiner Glühbirne aufzubauen – gegen den Widerstand der gleichen Firmen, die sich weigerten, ihm die hierfür notwendigen Maschinen und Halbfertigteile zu liefern. Dennoch begann er bereits 1981 mit der Produktion seiner auf 100.000 und 150.000 Stunden Brenndauer ausgelegten „Villux“-Glühbirnen. Nachdem die Bewag nach 18monatigen Non- Stop-Versuch keine Alterungserscheinungen feststellen konnte, bestückte sie damit fortan die über 1.000 Schinkel-Leuchten der Stadt. Flughäfen, Krankenhäuser, Hausverwaltungen, Hotels und andere städtische Betriebe folgten dem Beispiel der Bewag, jedoch der große Durchbruch gelang Binninger nicht. Die Elektrogroßhändler weigerten sich, seine Glühlampe mit in ihr Sortiment zu nehmen. Auch seine Hoffnungen, auf dem Ampelmarkt Fuß zu fassen, scheiterten an einem Monopolvertrag, den die Firma Siemens/Osram mit dem Berliner Senat abgeschlossen hatte. Da half ihm die Einschätzung der Verwaltung von 1990 wenig, seine Erfindung sei „wirtschaftlich wertvoll“.

Um auf dem Glühlampenmarkt Fuß zu fassen, der 1989 in der BRD allein ein Volumen von einer Milliarde Mark hatte, entwickelte Binninger für den Haushaltsbedarf eine Glühbirne mit 5.000 Stunden Brenndauer – und stellte dabei fest, daß er sie zum gleichen Preis produzieren konnte wie die handelsüblichen Glühbirnen mit 1.000 Stunden Brenndauer.

Nach der „Wende“, 1990, ließ er seine Villux-Glühbirnen bei dem Ostberliner Glühlampenwerk Narva fertigen. Als Narva im Frühjahr 1991 von der Treuhand zum Verkauf ausgeschrieben wurde, beteiligte sich Binninger zusammen mit der Commerzbank an einem Übernahmeangebot. Er war einer der wenigen Anbieter, die die Lichtproduktion bei Narva aufrechterhalten wollten – und der nicht nur Interesse an der Immobilie hatte.

Seine Pläne konnte er allerdings nicht mehr verwirklichen: Sechs Tage nach der Abgabe seines Angebots starb er an den Folgen eines für viele Personen immer noch nicht aufgeklärten Flugzeugunfalls. Günter Hoffmann