Heimtückische Pseudo-Mimesis

Benetton-Titel hin oder her – In der Ausstellung „Colours. Zeitgenössische Kunst aus Südafrika“ im Haus der Kulturen der Welt kann man sich seinen deutschen Kopf auf gelungen unbequeme Art dekolonialisieren lassen  ■ Von Tilman Baumgärtel

Die Pressebesichtigung der Ausstellung „Colours“ hatte kaum begonnen, da hatten die Fotografen schon ihr Motiv entdeckt: In der Mitte der Ausstellungshalle im Haus der Kulturen der Welt haben die beiden Künstler Pat Mautloa und Kay Hassan einen „Shack“ aufgebaut – eine Nissenhütte, wie sie auch in einer südafrikanischen Township stehen könnte. Als die beiden Künstler sich neben ihre Skulptur stellten, brach plötzlich ein Blitzlichtgewitter über sie herein. Die Fotografen hatten zwischen den fremdartigen Kunstwerken einen vertrauten Anblick gefunden, auf den sich ihre Objektive fast automatisch zu richten schienen: zwei schwarze Männer neben einer Wellblechhütte.

Diese Anekdote sagt nicht nur eine ganze Menge darüber, wie sich deutsche Fotografen Afrika vorstellen. Ganz nebenbei ist sie auch ein Kompliment an eine Ausstellung, die die südafrikanische Gegenwartskunst repräsentieren soll. Denn in ihr ist wenig zu sehen von dem, was hierzulande als „typisch afrikanisch“ gilt. Und wenn, dann nur so ironisch dekonstruiert wie die Wellblechhütte oder die zusammengeschnürten Gepäckbündel, die Kay Hassan auf dem Museumsboden verstreut hat.

Die Ausstellung „Colours“, die am Donnerstag abend vom südafrikanischen Präsidenten Nelson Mandela eröffnet wurde, bietet auch für Leute, die sich mit zeitgenössischer Kunst aus Afrika beschäftigt haben, ausschließlich unbekannte Namen. Und die Werke, die im Haus der Kulturen der Welt zu sehen sind, haben wenig mit dem gemein, was im europäischen Bewußtsein als „afrikanische Gegenwartskunst“ abgespeichert ist. Statt schwarzer Volkskünstler, die durch Ausstellungen wie „Magiciens de la Terre“ und durch die Aktivitäten des Großsammlers Jean Pigozzi in Europa bekannt geworden sind, zeigt „Colours“ Künstler aller südafrikanischen Ethnien – Arbeiten, die zum großen Teil in Auseiandersetzung mit der internationalen Kunstavantgarde entstanden sind.

Mautloas Wellblechhütten- Skulptur erinnert in ihrer heimtückischen Pseudo-Mimesis an die Müll-Monumente, die Ilya Kabakov dem real existiert habenden Sozialismus errichtet hat. Um so ironischer, daß der Künstler den Abfall, aus dem die Hütte errichtet wurde, in Berlin gesammelt hat: „Junk international“, wie er in einem Gespräch witzelte.

Die Unterdrückung durch das südafrikanische Apartheid-System scheint ähnlich kafkaeske Züge wie der Ost-Sozialismus gehabt zu haben: Schwarzen Künstlern und Musikern wurde zum Beispiel die Ausbildung mit der Begründung verweigert, sie seien halt sowieso „Naturtalente“. Darum zeichnen sich einige Arbeiten aus Südafrika durch einen ähnlich grimmigen Humor aus wie der, mit dessen Hilfe osteuropäische Künstler den Absurditäten ihres bankrotten Staatswesens begegnet sind. Willie Bester etwa hat der Rassenunterdrückung ein minutiös eingerichtetes „Apartheid Laboratory“ gebaut, in dessen Versuchsanlage Ungleichheit hergestellt wird.

Norman Catharienes Skulpturengruppe „Interrogator“ stellt eine Szene aus einer südafrikanischen Folterkammer nach. Besonders nachhaltig wirkt Minnette Váris „Firestone“, die Jeff-Koons-artige Kopie eines Autoreifens aus weißem Porzellan. An amerikanische Aktivistenkunst erinnert dagegen Sue Williamsons „A Tale of Two Cradocks“. Hinter dem von Dickens inspirierten Titel verbirgt sich eine Immobilienbroschüre, die mit Dokumenten über die Ermordung eines schwarzen Highschool-Lehrers konfrontiert wird.

Mit 36 Künstlern, die Kuratorin Sabine Vogel im vergangenen Jahr bei der ersten Africus-Biennale ausgewählt hat, ist „Colours“ die bisher größte Ausstellung von südafrikanischer Gegenwartskunst außerhalb des eigenen Landes. Kuratorin Vogel hält die dortige Kunst für die „zur Zeit spannendste der Welt“. Denn die „südafrikanische Identität“ sei „ein Labyrinth aus Brüchen“. Neben Künstlern, die sich auf avantgardistische Weise mit Themen wie Rasse und Geschlecht auseinandersetzen, stellt die Ausstellung darum traditionelle Township- Plastiken von Johannes M. Segogela und Doc Phuthuma Seoka. Am schönsten verkörpern vielleicht die Schullandkarten, die Moshekwa Langa „überarbeitet“ hat, das Projekt der Ausstellung. Auch „Colours“ soll dazu beitragen, die internationale Kunstlandschaft neu zu kartographieren. Wer die Ausstellung besucht hat, kann sich seinen deutschen Kopf ein bißchen dekolonialisieren lassen und ein paar bequeme Vorstellungen über Afrika und die afrikanische Kunst loswerden. Das ist eine gute Sache, und darum wollen wir auch gar nicht an dem Benetton-mäßigen Titel der Ausstellung herumnörgeln...

„Colours“, bis zum 18. 8., Haus der Kulturen der Welt, John-Foster- Dulles-Allee 10, Katalog: 39 DM