Zu international gedacht?

Was wird von den hochfliegenden Plänen zum Berliner Jüdischen Museum bleiben? Am Stuhl des Direktors Amnon Barzel wird schon heftig gesägt  ■ Von Anita Kugler

Eines der großen Rätsel in Berlin lautet: Was wird wohl einmal zu sehen sein in dem heute schon fast fertiggestellten, kühnen Zickzack- Gebäude des amerikanischen Architekten Daniel Libeskind? Denn der 120 Millionen Mark teure und international hochgelobte Erweiterungsbau des „Berlin Museums“ soll ab 1998 „bespielt“ werden, wie es im Jargon der Kulturbürokratie heißt. Aber womit eigentlich und unter welchem Titel?

Vor der Wende, als man den Bau noch plante, sprach man von einem „Jüdischen Museum“, das da einziehen sollte. Beim Richtfest fast genau vor einem Jahr hieß es schon etwas bescheidener „Jüdische Abteilung im Berliner Museum“. Und dann im Sommer war das Attribut jüdisch auf einmal gänzlich verschwunden: Im Berliner Gesetzesblatt heißt es nur noch „Berlin Museum (Libeskind-Erweiterungsbau)“.

Gegen dieses „Wegdefinieren“ protestierte die Jüdische Gemeinde bisher vergeblich, aber der Pressesprecher des neuen Kultur- und Wissenschafts-Doppelsenators Peter Radunski (CDU) beruhigt: „Der Name ist doch zweitrangig“, meint Lutz Nebelin, „nennen Sie es doch einfach ,Projekt Jüdisches Museum‘.“

Und hier endet die Posse; hier beginnt, was sich für die Hauptstadt Berlin zur größten Blamage dieses Jahrzehnts auswachsen könnte. Denn hinter den Schwierigkeiten, sich auf einen Namen zu einigen, verbirgt sich ein handfester kulturpolitischer Streit, mit Kabalen, Diffamierungen, Degradierungen, Berliner Filz, Kündigungsdrohungen.

Vordergründig geht es in diesem seit einigen Tagen wieder heißen Konflikt um die Person Amnon Barzel, seit Sommer 1994 Direktor des „Jüdischen Museums (im Aufbau)“, wie es der Einfachheit halber hier weiter heißen soll. Den temperamentvollen Mann mit der ganz und gar undiplomatischen Sprache („Berlin ist sowas von spießig“) möchten diverse Kulturfunktionäre am liebsten in die Wüste schicken, sie wissen nur noch nicht, wie sie es anstellen sollen, ohne das Gesicht zu verlieren. Schließlich ist Barzel 60 Jahre alt, hat einen unbefristeten Vertrag, ist ein international anerkannter Museumsfachmann, „höchst profiliert“, wie der Senat bei seiner Ernennung noch stolz verkündete. Da macht sich eine förmliche Entlassung nicht so gut. Zumal das Gerücht nicht weichen will, daß die verarmte Hauptstadt sich damals für Barzel entschied, weil man auf seine sagenhafte „Sponsorenkartei“ mit angeblich 10.000 Namen hoffte.

In Wirklichkeit geht es aber nicht um Barzel, sondern um die mit ihm verknüpfte viel ernstere Auseinandersetzung, nämlich darum, wieviel Gewicht das „Jüdische“ im Jüdischen Museum bekommen soll und wie autonom die Einrichtung sein kann. Denn inzwischen ist das Jüdische Museum auch haushaltstechnisch keines mehr, sondern die „Hauptabteilung 5“ der neugegründeten „Stiftung Stadtmuseum“, ein Konglomerat aus insgesamt 16 musealen Einrichtungen, darunter Sport-, Friseur-, und Dorfmuseum.

Ständig schrumpfende Konzepte

Und Amnon Barzel ist auch nicht mehr Direktor, sondern ein „Hauptabteilungsleiter“ ohne jegliche Kompetenzen, Mitarbeiter einzustellen oder gar über einen eigenen Etat verfügen zu können. „Das ist ein Komplott“, sagt er, „das ist vertragswidrig“.

Amnon Barzel wird gegen diese Herunterstufung prozessieren. „Es geht dabei nicht um mich“, betont er, „es ist eine ideologische Frage. Alle Aktivitäten der Bürokraten in dieser Stadt laufen darauf hinaus, das Jüdische Museum klein und noch kleiner zu machen, es jeden Tag mehr zu beschneiden, bis es verschwindet. Sie wollen es einfach nicht, und dazu ist ihnen jede Diffamierung recht. Sie wollen ein lokalgeschichtliches Provinzmuseum mit ein bißchen jüdischer Folklore, mit ein paar jüdischen Bonbons.“ Er aber wolle „ein jüdisches Museum, lebendig, weltoffen, ein Zentrum für Bildung und Toleranz“.

Genau das ist es, was Amnon Barzel so unbequem macht. Als Kampfbegriff gegen ihn wird die Kurzformel „integratives Konzept“ in Stellung gebracht, was der Senat angeblich will und Barzel nicht. „Das ist doch völlig absurd“, meint der Angegriffene, „die Einsicht, daß jüdische Geschichte nur eingebettet in die deutsche Geschichte zu zeigen ist, ist Grundlage meines gesamten Konzeptes.“

Nachzulesen ist dies in seiner Konzeption, die er im Oktober vergangenen Jahres vorlegte. „Bis heute hat niemand darüber mit mir diskutieren wollen“, sagt er. Tatsache ist: Zwei Monate, nachdem Barzel sein 48seitiges Papier über die „konzeptionellen und räumlichen Planungen für ein Jüdisches Museum für Berlin“ verbreitete, bestimmte der Senat den Architekten des Hauses, Daniel Libeskind, zum Leiter einer neuen Projektgruppe. Er sollte sich, ganz so als ob es Barzel nie gegeben hätte, über die museale Umsetzung des „integrativen Modells“ Gedanken machen. Ein von Libeskind verfaßtes, acht Seiten starkes Exposé liest sich wie ein Lexikonartikel, garniert mit Hinweisen auf Walter Benjamin: „Hausvogteiplatz: Konfektion in Berlin. Leipziger Platz: Kathedralen des Konsums“.

Zum ernsthaften Streit, den Barzel aber „unbedingt gewinnen will“, kam es über die Gestaltung des zukünftigen Untergeschoßes im Erweiterungsbau. Während der israelische Ausstellungsmacher hier die Zeit des Nationalsozialismus als eine „Katastrophe für ganz Europa“ unterbringen möchte, will Libeskind an gleicher Stelle die „Darstellung jüdischer Identität“ sehen: jüdische Grabsteine, Kultgegenstände und ähnliches.

Darin sieht Barzel eine „Beschränkung auf die Ethnizität, auf die Religion. Wenn Libeskinds Konzept mit den Kultgegenständen ausgerechnet in dem Raum, der zum Holocaust-Memorial führt, verwirklicht wird, bedeutet dies, daß die Juden nur aufgrund ihrer Religion umgebracht worden sind.“ Seit dieser Kontroverse ist der Bruch zwischen Libeskind und dem Senat einerseits und Barzel andererseits nicht mehr zu kitten.

Bei dem „Krieg“ (Barzel) um seine angebliche Unfähigkeit, mit dem „integrativen Modell“ zu leben, ist jede Waffe recht. „Amnon Barzel“, so stellte es ein Senatssprecher dar, „möchte sein eigener Herr sein. Die Vorstellung einer Museumsarbeit im Verbund scheint ihm zuwider zu sein.“

Rainer Güntzer, inzwischen als Generaldirektor der „Stiftung Stadtmuseum“ zum Vorgesetzten von Barzel avanciert: „Besser ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende.“ Wiederholt wurde diese Empfehlung dieser Tage wörtlich vom Vorsitzenden des „Fördervereins Stadtmuseum“, dem Chef der Grundkreditbank, Jürgen Bostelmann. Barzel habe „das integrative Modell torpediert“. Auf welche Weise, war nicht zu erfahren.

Der sanfte Zwang zur Integration

Inzwischen sind die Gerüchte, daß der Kultursenat plane, sich von Barzel nach einer Abfindung zu trennen, so laut geworden, daß Peter Radunski eilig dementieren läßt und das tut, was schon längst hätte getan werden müssen. Erstmals will er in diesen Tagen mit Amnon Barzel persönlich reden, sich von ihm dessen Vorstellungen des zum Schlagwort verkommenen Begriffs „integratives Modell“ erläutern lassen. Was der Kultursenator darunter versteht, wußte der Pressesprecher Nebelin aber nicht zu nennen. „Wozu haben wir einen Hauptabteilungsleiter“.

Dafür kennt er aber die Strategie des „Dialogs.“ Sollte sich Barzel zum „integrativen Modell bekennen, dann sind wir wieder in Harmonie und es kann weitergehen“, sagt er. Klar ist aber auch, „daß für uns das Wichtigste nicht die Person, sondern das Konzept ist“. Und mit Blick auf Barzels Engagement für Wechselausstellungen zu internationalen Themen, die nicht das Etikett jüdisch tragen müssen, meint Nebelin: „Erste Priorität hat für uns, das jüdische Leben in Berlin zu dokumentieren. Erst dann kann man daran denken, das Haus mit Wechselausstellungen zu bespielen.“

Womit der nächste Krach schon programmiert ist, denn „integratives Konzept“, sagt Barzel, bedeute doch nicht, „an der Stadtgrenze von Berlin stehen zu bleiben. Posen, Warschau und Tel Aviv hat für die Juden in Berlin doch immer mehr Bedeutung gehabt als Potsdam.“ Das wird er Peter Radunski erklären müssen, denn wie es sich anhört, denkt Amnon Barzel hier schon wieder schrecklich international.