Babylons Dialogformen

■ Verständigungsorgien: zwei extreme Abende im Schauspielhaus

Dialog in D-Dur

Juan ist ein burschikoser Tölpel, eine jener treuen Seelen, denen das Herz auf der Zunge liegt und die einem so fürchterlich auf die Nerven gehen können, weil sie kein Gespür für die natürliche Distanz unter Fremden haben. Sein Opfer ist Dagoberto, und da Juan sich trotz eines völlig leeren Zugs zielstrebig zu Dagoberto setzt und so lange Umstände macht, bis dieser in den Dialog in D-Dur einlenken muß, weiß der distinguierte Dagoberto von Anfang an, was ihm blüht. Oder ist vielleicht alles ganz anders? Hat Dagoberto den Juan zu sich ferngesteuert, um mit seinem Opfer einen merkwürdigen Pakt zu schmieden, der sich um Monster und Musik dreht?

Javier Tomeos Stück, das dritte nach Mütter und Söhne und Der Löwenjäger, das das Schauspielhaus aufführt, ist natürlich nicht die einfache Skizze einer belastenden Zugfahrt. Aus dem übersichtlichen musikalischen Streit des Posaunenfroschs einer Blaskapelle mit dem intellektuellen Genießer entwickelt sich ein surrealer Dialog mit ungewissem Ausgang und unerklärlichen Motiven. Denn Dagoberto versucht aus niemals plausibel werdenden Gründen, den Einfaltspinsel zum Geigenspielen zu überreden, weil er damit den Kosmos bewegen könne und Märchenhaftes zu sehen bekäme. Und der so tumbe wie selbstgefällige Juan beschließt tatsächlich, Geigenvirtuose zu werden, und sieht schon, von der Vorstellung beflügelt, Sagenwesen vor dem Zugfenster.

Conrinna Bethge, bisher Regieassistentin am Haus, hat dieses Zwei-Mann-Stück in der Kantine mit Jean-Pierre Cornu und Wolfgang Prengler inszeniert. Und die Zeichnung des mitleiderregenden Würstchens (Prengler), den seine Quasselsucht in eine Situation bringt, die er nicht mehr beherrscht, sowie des diabolischen, alten Bohèmes (Cornu) gelingt ihr bei Spannung, Präzision und Unterhaltung gleichermaßen.

Allerdings kann auch sie nicht verhindern, daß der Zuschauer das Stück höchst unzufrieden verläßt. Denn der kontinuierlich ansteigende Aberwitz sowohl des Textes wie der Inszenierung steuert konsequent auf eine Pointe zu – die allerdings nie kommt. Weder erfährt man, wer dieser Dagoberto eigentlich wirklich war, noch, wofür er Juan, wie gegen Ende erklärt, so dringend braucht, noch, was der versteckte Sinn dieses Zusammentreffens war. Und so sitzt man am Ende kopfschüttelnd da und fühlt sich, als habe jemand eine geliebte Melodie in der Mitte abgebrochen: sehr unbefriedigt. tlb

Sommernachtstraum

Ist Pfingsten nicht der Termin, wo der Heilige Geist in die Apostel fährt und sie daraufhin mit vielen Zungen, also in vielen Sprachen reden können? Es kann also keinen besseren Zeitpunkt geben, um einen „europäischen Shakespeare“ aufzuführen, einen Sommernachtstraum, in dem sich neun Sprachen mischen. Karin Beiers Inszenierung vom Düsseldorfer Schauspielhaus, die zwei Tage im hiesigen gastierte, hatte also göttlichen Beistand, und entsprechend furios wurde gespielt und anschließend geklatscht.

Selbstverständlich gab es auch die Empörten, die sich laut fragten, ob sie denn hier im „Irrenhaus“ seien, als sie merkten, daß der eigentlichte Shakespeare-Text in dieser Version nicht zu seinem Recht kommen kann. Aber die gingen dann auch zügig und ersparten Beiers Allegorie auf die Menschheit ihre kleingeistige Betrachtung. Ohne Geduld und offene Sinne ist ja auch schwer zu verstehen, daß ein Thema dieses Stückes ist, wie das Fundament des Glücks auf dem Willen zur Verständigung gebaut ist. Und wem Geduld und offene Sinne fehlen, kann natürlich auch nicht ertragen, daß diese Notwendigkeit durch die Verdopplung der Barrieren durchaus treffend illustriert wird.

Natürlich muß diese Inszenierung dann die Reduzierung auf die sprachmelodische Schönheit des Textes durch ein Feuerwerk an Ideen und schauspielerische Vielfalt wettmachen. Dazu bedient sich Beier aus dem Fundus der Theaterformen und stellt sie auf eine nackte Bretterbühne. Akrobatik, Pantomime, Komödien-Klamauk harmonisieren hier mit Abstraktion und Einfühlung. Das Prinzip des Mixes, das Sheakespeare anbietet und das mit der ungewöhnlichen Besetzung fortgesetzt wird, findet in diesem Zirkus der theatralischen Abwechslung eine logische Vollendung. Vom schönsten Theaterselbstmiord seit langem, wo mit den Blutblasen beim Publikum die Tränendrüsen vor Lachen spritzen, bis zu ganz ernsthaften Beschreibungen des Hasses bei der durch Heirat endgültig unterworfenen Amazonenkönigin Hippolyta oder zwischen Puck und Oberon reicht das Repertoire der Spielfarben. Dieser brillante Sommernachtstraum sollte unbedingt wiederkommen – notfalls auch nicht zu Pfingsten. Till Briegleb