■ Vorschlag: Überfällig: Der Prater-Biergarten wurde im Regen wiedereröffnet
Vier Jahre lang wurde der älteste Biergarten Berlins, der Prater in der Kastanienallee im Prenzlauer Berg, der Bevölkerung wegen Finanzierungsuneinigkeiten vorenthalten. Am vergangenen Sonnabend wurde er endlich wieder aufgemacht. Und die Leute kamen. Wetterbedingt zwar zaghaft, aber am frühen Nachmittag waren die Bänke dann plötzlich alle besetzt. Die Schlangen an den Bierständen erinnerten beinahe an gewisse alte Zeiten, außerdem gab es dicke Würste, belegte Brötchen und prima Streuselkuchen.
Die Stimmung war angenehm und entspannt. Echte Prenzlauer Berger saßen neben Zugereisten, mit denen dieser Bezirk reich gesegnet ist. Es wurde nicht übermäßig fraternisiert, aber jeder sah zu, daß er einen Platz unter den riesigen Sonnenschirmen ergatterte, denn im Grunde goß es ununterbrochen. In den kurzen Trockenperioden gab es für die Kinder eine kleine Vorstellung des Zirkus Sarrasani und ein mit Begeisterung verfolgtes Kasperletheater. Kultur also satt: Auf wechselnden Bühnen spielten die unvermeidliche „Bolschewistische Kurkapelle“, ein „trauriges Musikorchester“, die polnische Truppe „Perfekt-Combo“ und einige mehr.
Die Zeitschrift Sklaven veranstaltete einen Sklavenmarkt, in dessen Verlauf der Dichter Schappi (P. Wawerzinek) eine Auszeichnung als treuester Sklaven-Abonnent bekam und daraufhin eine stark musikgestützte Dankesrede hielt. H. Höge übrigens wird am 12. 6. auf dem Pratergelände einen Vortrag halten, bei dem es irgendwie um Frauen geht, lichtbildgestützt. Der zunehmend desolate Moderator des Eröffnungstages, der Grünen-Abgeordnete Albert Eckert, beschwor unermüdlich den Sonnenschein des nächsten Tages, was aber nichts daran änderte, daß es im Jetzt immer klammer und aufgeweichter wurde. Dennoch trank eine fröhliche Runde stoisch gegen die Witterung an und spielte das Zungenbrechspiel „Sag mal Waschküchenschlüssel“. Wer stolpert, muß Bier holen.
Die Preise sind nicht ohne (4,50 bis 5,50), doch vom Praterbier soll ein kleiner Teil für kulturelle Angelegenheiten verwendet werden. Auf Dauer wäre soviel Kulturbeflissenheit wie am vergangenen Wochenende aber nicht nötig, denn manchmal ist man doch eher froh, wenn man seine Ruhe hat. Katrin Schings
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