Demos für den Status quo lohnen nicht

taz-Debatte zur Krise der Hochschulen: Die Bewegungsunfähigkeit der Universitäten liegt in den Strukturen der Hochschulen selbst begründet. Professorenkartell verhindert alle Reformen, vertritt  ■ Ulrike Gonzales

Die Krise der Hochschulen ist seit geraumer Zeit evident. Regelmäßig alle paar Jahre wird gegen die schlechte Lage aufbegehrt, die Hochschullehrer protestieren, Studierende streiken und verabschieden Resolutionen. Und doch hat sich seit der Revolte von 1968 im Grunde nichts mehr bewegt. Der Öffnungsbeschluß von 1977 bewirkte nur ein Vollaufen der Hochschulen, jedoch keine strukturellen Veränderungen.

Wenn sich nun, im Sommer 1996, wieder einmal eine studentische Bewegung formiert, sollte diesmal vielleicht von vornherein klar sein, wofür gestreikt und auf die Straße gegangen wird. Denn es kann nicht darum gehen, einfach nur mehr Geld für die Hochschulen zu fordern. Die Erfahrungen aus dem Streik von 1988/89 zeigen es: Damals wurden aufgrund des öffentlichen Drucks Hochschulsonderprogramme aus dem Boden gestampft, die für kurze Zeit die finanzielle Situation an den Hochschulen entspannten.

Nach wenigen Jahren sind diese nun ausgelaufen, und die Hochschulen befinden sich in einer Lage, wie sie katastrophaler nicht sein könnte. Es herrscht Stellenstopp, Lehraufträge können nicht erfüllt werden, und auch den Studierenden selbst geht es an den Geldbeutel: Die Berliner Hochschulen werden gezwungen, Studiengebühren zu erheben.

Die Begründung der Politik für die Kürzungen lautet immer wieder, die Hochschulen seien nicht willens oder fähig, Reformen durchzuführen. Dies ist – objektiv gesehen – richtig. Natürlich gibt es verschiedene Auffassungen von „Reform“. Die Hochschulleitungen reagierten auf diese Forderung von seiten der Politik mit ihrer Art von Reform: Einschränkung des Hochschulzugangs durch Einführung von NCs, Regelstudienzeiten und – bei deren Überschreiten – Zwangsberatung. Doch sind derartige Verwaltungsmaßnahmen als Reform zu bezeichnen? Diese kann aus studentischer Sicht nur mit Nein beantwortet werden. Restriktionen gegen Studierende sind nur ein Herumdoktern an Symptomen, notwendige Veränderungen finden nicht statt.

Diese Bewegungsunfähigkeit liegt in der Struktur der Hochschulen selbst begründet. Seitdem das Verfassungsgericht 1973 beschloß, die Professorenschaft sei die einzig verläßliche Hüterin der wissenschaftlichen Wahrheit, ist die ursprüngliche Idee der Gruppenuniversität zu einer Farce geworden. Zwar sind in den universitären Gremien alle Gruppen (ProfessorInnen, Wissenschaftliche MitarbeiterInnen, Studierende und sonstige MitarbeiterInnen) repräsentiert, die Mehrheit der Stimmen hat jedoch die Professorenschaft inne.

Dazu kommt die weltweit einzigartige Konstruktion des deutschen Hochschullehrers: Er ist Beamter auf Lebenszeit und daher unkündbar. Die ihm per Grundgesetz garantierte Freiheit der Lehre und Forschung bedeutet in den meisten Fällen, daß er sich die Freiheit nimmt, seinen Forschungsvorlieben nachzugehen und die Lehre zu vernachlässigen.

Ruhm und Ehre auf dem Feld der Wissenschaft bzw. in der scientific community erringt man eben nicht im Hörsaal, sondern im Forschungslabor. Schlechte Didaktik und mangelndes Engagement in der Lehre sind die Folgen, die jedoch keinerlei berufsrechtliche Konsequenzen haben.

Und so liegt die Macht der Mittelverteilung und der inhaltlichen Prioritätensetzung in den Händen derer, die aufgrund ihrer Stellung innerhalb der Institution das geringste Interesse daran haben, tiefgreifende Veränderungen zu bewirken. „Jede Änderung der Ressourcenverwaltung [...] hat [...] in den Gremien nur dann eine Chance, wenn eine Mehrheit der Professoren zu den Gewinnern zählt“, hieß es in dem Bericht der Berliner Landeshochschulstrukturkommission von 1993. Entweder tragen die ProfessorInnen eine Reform mit, oder sie findet gar nicht erst statt. Letztere Variante ist die wahrscheinlichere und letztlich seit Jahren Realität. Um Reformen an den Hochschulen überhaupt erst möglich zu machen, ist es unumgänglich, demokratische Verhältnisse in den universitären Gremien einzuführen. Das heißt, die alte Forderung nach der Viertelparität (gleiche Stimmzahl für alle Statusgruppen einer Hochschule) endlich zu realisieren. Dann erst sind alle universitären Gruppen gezwungen, ein Gespräch über Form und Inhalt der Universitäten zu beginnen und zu einem Konsens zu kommen. Die Erfahrungen in den Ausbildungskommissionen, die ausnahmsweise jeweils zur Hälfte mit Lehrenden und Studierenden besetzt sind, haben gezeigt, daß es durchaus möglich ist, jenseits von bürokratischen Reglementierungen auf gleichberechtigter Basis Reformvorschläge zu entwickeln. Deren Umsetzung allerdings scheiterte bisher fast immer in den professoral dominierten Entscheidungsgremien, da dort die Prioritäten bei der Mittelvergabe anders gesetzt werden.

In der nächsten Zeit ist jedoch die Abschaffung des Professorenkartells nicht in Sicht, da Verfassungsgerichtsurteile hierzulande die Haltbarkeit von Stahlbeton besitzen. Eine Änderung des Wahlmodus für ProfessorInnen hingegen würde, ohne die gültige Rechtsprechung anzutasten, zunächst wenigstens neue Möglichkeiten eröffnen.

Könnte ein Teil der ProfessorInnen von allen Mitgliedern der universitären Statusgruppen gewählt werden, hätten auch die wenigen progressiven AußenseiterInnen unter den ProfessorInnen, die tatsächlich an einer Zusammenarbeit interessiert sind, eine Chance, ihren Einfluß geltend zu machen. Mit solch einer neuen Konstellation innerhalb der bislang noch recht homogenen Gruppe der ProfessorInnen käme vielleicht Bewegung in die Gremien. Zusammen mit größeren Kompetenzen für die Ausbildungskommissionen und der Einrichtung von Studienbüros (wie an der TU) wäre ein erstes Ziel auf dem Weg zu einer umfassenden Reformierung der Hochschulen erreicht.

Eine jetzt eventuell entstehende studentische Bewegung sollte bedenken, daß es nicht länger um den Erhalt des Status quo geht, sondern daß nur eine radikale Reformierung der Hochschulen diese auch erhaltenswert macht.

Der Beitrag ist erschienen in „unaufgefordert“, der Studentenzeitung der Humboldt-Universität.