Ein Kuhhandel um Karadžić' Rolle

Der Westen schützt den bosnischen Serbenführer auch weiterhin vor einer Auslieferung an das Internationale Kriegsverbrechertribunal. Er soll sich nur bedeckt halten  ■ Aus Genf Andreas Zumach

Der als Kriegsverbrecher angeklagte Radovan Karadžić darf künftig keine öffentliche Rolle mehr spielen und nicht länger an den Sitzungen von Parlament und Regierung der „Serbischen Teilrepublik“ Bosniens teilnehmen. Aber er kann sehr wohl in seiner Funktion als Präsident der „Serbischen Republik“ verbleiben und in „informellen“ Gesprächen Weisungen an Untergebene erteilen. Und er muß auch weiterhin nicht mit seiner Festnahme und der Auslieferung an das Internationale Tribunal in Den Haag rechnen.

Dieses Arrangement hatten der US-Beauftragte für Bosnien, John Kornblum, und der Chefkoordinator für den zivilen Wiederaufbau, Carl Bildt, letzte Woche in Gesprächen mit Serbiens Präsidenten Slobodan Milošević in Belgrad und mit dem „Außenminister“ der bosnischen Serben, Alexander Buha, in Pale getroffen. Eine offizielle Vereinbarung wurde über Pfingsten zwar von Kornblum, Bildt sowie von Bundesaußenminister Klaus Kinkel und dessen Amtskollegen in Washington und London dementiert. Doch Bildts Sprecher Colum Murphy, Buha sowie westliche Diplomaten bestätigten eine „informelle, mündliche Verständigung“ gleichen Inhalts über die „Bewegungsfreiheit“ Karadžić'. Nach dieser Verständigung dürfe sich Karadžić „nicht sehen und hören lassen“, könne aber „in Freiheit bleiben“. Ein westlicher Diplomat meinte, die internationale Gemeinschaft habe „klein beigegeben“, nachdem der Westen die Festnahme von Karadžić durch die Ifor verweigere und nur durch Belgrad vornehmen lassen wolle, aber Milošević hierzu nicht bereit sei. Nachträgliche Differenzen traten auf, weil Belgrad und Pale die erzielte Verständigung inzwischen als zeitlich unbegrenzt darstellen, während Kornblum und Bildt zunächst eine Regelung bis zum voraussichtlichen Datum der bosnischen Wahlen am 14. September im Auge hatten.

Die Clinton-Administration ist fest entschlossen, diesen Termin einzuhalten. Eine Verschiebung, so die Befürchtung, könne zur Verzögerung des für Dezember geplanten Abzugs der 60.000 Ifor- Soldaten führen und Clinton bei den Präsidentschaftswahlen Anfang November schaden. Innerhalb der nächsten zwei Wochen wird der US-amerikanische Chef der OSZE-Mission in Bosnien, Robert Frowick, seine Empfehlung für die Durchführung der Wahlen am 14. September mit der Begründung abgeben, die im Dayton-Abkommen zur Voraussetzung gemachten politischen und sozialen Bedingungen für „freie und faire Wahlen“ seien erfüllt.

Dieser Einschätzung wird allerdings von fast allen in Bosnien vertretenen internationalen Organisationen und Beobachtern widersprochen. Äußerst skeptisch ist auch der amtierende OSZE-Präsident, der Schweizer Außenminster Flavio Cotti. Cotti, der bis Ende Juni die endgültige Entscheidung über den Wahltermin treffen muß, steht unter erheblichem Druck aus Washington, seine Bedenken zurückzustellen.