Rettungsinsel oder Sprungbrett?

■ Ein Resümee des Festivals Junge Hunde auf Kampnagel: Gibt es eine neue Regie-Qualität?

Gegenüber den vergangenen Jahren war das gestern beendete Regienachwuchsfestival „Junge Hunde im Mai“ auf Kampnagel heuer deutlich erfolgreicher. Über 4.000 Besucher bescherten dem Festival eine überraschende Auslastung von 67,5 Prozent und die Rezensenten zeigten sich überwiegend beeindruckt von dem hohen Niveau sowohl der Hamburger Produktionen wie der Gastspiele. Die beiden Kampnageldramaturgen Sabine Gehm und Armin Kerber versuchen in einem taz-Gespräch eine Erklärung für dieses Phänomen.

taz: Warum war dieses Festival so erfolgreich?

Gehm: Es spielten verschiedene Faktoren eine Rolle. Einmal die Mischung des Programms. Wir hatten sehr unterschiedliche Produktionen und ein durchgängig höheres Niveau als im letzten Jahr. Das liegt mit daran, daß wir mit den internationalen Partner anders gearbeitet haben.

Ihr habt diesmal die Auswahl selbst getroffen?

Gehm: Genau. Bei der Auswahl der Hamburger Produktionen hat außerdem der Unterhaltungswert eine Rolle gespielt. Auch die „Flimms“ (die Absolventen des Regiestudiengangs von Jürgen Flimm) haben noch einmal ein anderes Publikum mitgebracht. Und sicher hat die Veranstaltung dadurch, daß wir sie als Festival organisiert haben, noch einmal eine ganz andere Aufmerksamkeit bekommen. Gleichzeitig haben wir den Forumsgedanken nicht aufgegeben, sowohl nach innen im Gespräch mit den Beteiligten, als auch nach außen mit dem Rahmenprogramm, daß das Publikum noch einmal ganz anderes einbindet.

Der Entertainment-Aspekt wird besser begriffen

Gerade zu den „Flimms“, die ja mehr den Stadttheater-Ansatz vertreten, gab es in der Vergangenheit immer berechtigte Distanz von Kampnagel. Habt ihr diese nun eingeladen, weil ihr dort neue Ansätze entdeckt habt, oder um die ganze Vielfalt Junger Hunde zu zeigen?

Kerber: Beides. Aber den Ausschlag hat gegeben, daß die ausgewählten Projekte über ein reines Flimm-Adeptentum hinausgingen. Und die haben auch noch eine ganz neue Szene junger Schauspieler mitgebracht, was ich bisher immer als Manko von Kampnagel empfunden habe. Junge Leute, die unbedingt ihre Ideen umsetzen wollen.

Inwieweit ward ihr dramaturgisch an den Projekten beteiligt?

Kerber: Wesentlich offensiver als im letzten Jahr. Da ist auch ein Vertrauensverhältnis gewachsen, das bei 80 Prozent der Künstler ganz von alleine aufkam.

Wie habt ihr im Vergleich zu früher die Qualität wahrgenommen?

Gehm: Es gibt verschiedene Tendenzen. Die Flimms trauen sich inzwischen mehr. Bei den frei arbeitenden Regisseuren gibt es immer noch die Suche nach dem Experiment, aber nicht mehr als geschlossene Versuchsanordnung. Der Entertainment-Aspekt von Theater wird besser begriffen.

Wird die Frage nach Tiefschürfenderem noch reflektiert?

Gehm: Ja, auf jeden Fall. Es kristallisiert sich ein Generationskonflikt heraus zu den 68ern, die immer fragen, wo ist denn da euer Bewußtsein? Deren Antwort ist, daß sie sich nicht in ein Raster stecken lassen wollen. Und das verbindet sie, gerade, weil sie alle nicht an einem Strang ziehen. Wobei die meisten Produktionen schon der sehr persönliche Zugang zum Stoff auszeichnet.

Kerber: Aber das geschieht sehr unnarzistisch.

Trotz karger Mittel ästhetisch sehr klare Positionen bezogen

Ist eurer Wahrnehmung nach Politik trotzdem noch ein Thema für die Produzenten, auch wenn es nicht auf die Bühne kommt?

Kerber: Es ist sicher so, daß die sagen, was die 68er Generation, die ja im kulturellen Bereich an der Spitze der Institutionen steht, uns als Politik verordnen will, das nehmen wir nicht hin. Wir suchen lieber selbst danach, was überhaupt politisch ist. Deswegen würde man auf diese Frage nie eine klare Anwort, ja oder nein, bekommen, sondern es ist immer eine Rückfrage, die da gestellt wird.

Ist damit auch die künstlerische Rebellion ad acta gelegt?

Kerber: Es ist diesen Regisseurinnen und Regisseuren klar, daß es einen riesigen Pool von Vorhandenem gibt, dem man nicht entkommen kann. Und sie verweigern sich dem Originalitätsanspruch, weil die Rebellion gegen etwas ja auch immer bedeutet, daß man etwas Neues anzubieten hat. Stattdessen suchen sie erst einmal den spielerischen Ansatz, der Henry Purcell ebenso verarbeiten kann wie Pulp Fiction.

Gehm: Die Verbindungen werden wichtiger. Man arbeitet lieber mit Bildern, die das Publikum schon kennt, und die Zusammenstellung wird das Neue.

Habt ihr denn bei diesem Festival Talente entdeckt, von denen ihr in Zukunft viel erwartet?

Kerber: Es wäre vermessen, gleich diese Meßlatte anzulegen.

Gehm: Aber es ist schon so, daß wir an den Leuten dran bleiben, denn man muß ihnen ja auch die Möglichkeit geben, sich weiterzuentwickeln. Durch den internationalen Austausch bietet sich beispielsweise die Möglichkeit, daß einige der Jungen Hunden auch in anderen Ländern auftreten.

Kerber: Wichtig ist, daß bei einigen Künstlern die Fähigkeit zur Selbstkritik viel höher ist, als in den letzten Jahren. Die wissen, daß das Startschüsse waren. Das haben auch die sehr intensiven Auswertungsgespräche gezeigt.

Hat für diese Regiegeneration der Begriff „Freies Theater“ noch eine Bedeutung?

Kerber: Es gab schon viele Leute, die bereits an Stadttheatern gearbeitet haben, die sagen, das würgt uns ab, das langweilt uns. Man muß jetzt sehen, ob die sich ein neues Terrain erobern können. Und es ist ihnen durchweg sehr gut gelungen, mit den kargen Mitteln ästhetisch sehr klar Position zu beziehen.

Fragen: Till Briegleb