Sammler verlegener Blicke

■ Placido Domingo sang die Samson-und-Dalila-Gala

Mit Placido ist das alles ein wenig anders. Während seine Sängerkollegen in Sangespausen steif auf ihren Stühlen sitzen und wichtig tun, tigert Mr. Eindrittelstartenöre über die Bühne, starrt einen Cellisten an, bis dieser verlegen lächeln muß, und verneigt sich in andächtiger Bethaltung vor dem Chor. Dann wirft er funkelnde Blicke ins Publikum, schlendert zum Bühnen-Aus, von wo er zurückjoggt, wenn sein Einsatz kommt, den er wie die größte Nebensächlichkeit nimmt.

Richtig interessant werden Placido Domingos gestische Lockerungsübungen, wenn eine Dame die Bühne betritt. Im Fall der Samson und Dalila-Gala am Montag in der Hamburg Oper verunsicherte Domingo damit Olga Borodina. Sofort, als sie im lila Rausch die Bühne betrat, fixierte der Flaneur vom Bühnenrand sie mit all der ihm zur Verfügung stehenden männlichen Erotik. Auch hier die Antwort: ein verlegenes Lächeln.

Aber damit nicht genug. Wo die Partitur von dramatischen Dialogen zwischen der Verführerin und dem Betrogenen sprach, da stürmte der Samson im Frack knapp am leidenschaftlichen Dirigenten Pinchas Steinberg vorbei und faßte die überraschte Sopranistin an den Schultern, so daß aus dem fülligen Körper hilflos einige standardisierte Operngesten schlugen.

Domingos Suche nach dem Blickkontakt, den Weggefährtinnen ebenso oft als bestärkend wie bedrängend beschrieben haben, verändert sich bei der Kreuzung mit dem Dirigenten eher zum cool-ironischen Hahnenkampfspiel. Und als zum Applaus die Fotografen hereinstürmten, gabs auch noch Faxen fürs Boulevard.

Mit derselben Souveränität, mit der Domingo gegen die albernen Opernetikette verschluckter Besenstile und katalogisierbarer Gesten verstößt, trägt er auch seine Stimme zu Markte. Sein „bronzener“ Ton steht fest in einer Selbstverständlichkeit, gegen die viele Stimmen wie die reine Gequältheit oder die reine Kälte wirken.

Auch Olga Borodina gehört zu den Stimmwundern unserer Zeit, aber neben dem Domingo ist ihr Vortrag immer noch einer der Befangenheit auf hohem Niveau. Steinberg, der das Glück hatte, die NDR-Sinfoniker dirigieren zu dürfen, kann es an Ausstrahlung da schon eher mit dem Tenor aufnehmen: ein Männlein voll ungeschlachter Leidenschaft und Zärtlichkeit für seine Musik.

Till Briegleb