„Harte Arbeit für alle Beteiligten“

■ Suchttherapietage 96: Experten sprechen sich gegen „Turboentzug“ aus Von Vera Stadie

Da helfen keine Pillen und auch keine Plakate, auf denen Berti Vogts zur Enthaltsamkeit auffordert. Auf den „Suchttherapietagen 96“, die gestern in Hamburg begonnen haben, schilderte Dr. Klaus Behrendt, Leiter der auf Drogenentzug spezialisierten psychiatrischen Abteilung des Allgemeinen Krankenhauses Ochsenzoll, den typischen Fall einer 15jährigen Patientin: Vor zehn Jahren hat der alkoholabhängige Vater die Familie verlassen, der neue Partner der Mutter trinkt auch und hat das Mädchen mehrfach sexuell mißbraucht. Sie läuft von zu Hause weg und gerät in die Drogenszene.

Dieser Absturz kommt nicht von ungefähr, oder weil die 15jährige etwa eine labile „Suchtpersönlichkeit“ ist. „Soziale Faktoren wie Arbeitslosigkeit oder das Zerbrechen der Familie spielen eine entscheidende Rolle“, betonte Tagungsleiter Prof. Dr. Michael Krausz von der Psychiatrischen Universitätsklinik Eppendorf. Das zeigt eine Studie, in der Krausz die Entwicklung heroinabhängiger Jugendlicher mit der von „normalen“ Gleichaltrigen vergleicht. Tod oder Scheidung der Eltern, Probleme, einen Ausbildungsplatz zu finden – doch nicht ein einzelnes Ereignis wirft sie aus der Bahn. In den Lebensgeschichten von Heroinabhängigen häufen sich solche Belastungen, und sie bekommen im Vergleich zu ihren gesunden Altersgenossen viel weniger Unterstützung bei der Bewältigung ihrer Probleme. Hier müsse man mit Hilfsangeboten eingreifen, fordert Behrendt, und die sozialen Startchancen der Jugendlichen verbessern. Der Mediziner kritisiert, daß bei den speziellen Förderungsmöglichkeiten für Abhängige das Sparkonzept „voll durchschlägt“.

Pillen sind da kein Ersatz. Auf der Tagung, auf der noch bis Freitag SozialarbeiterInnen, PsychologInnen, ÄrztInnen und PsychiaterInnen über verschiedene Formen der Suchttherapie diskutieren, trat Krausz überhöhten Erwartungen an eine Behandlung der Sucht mit Medikamenten entgegen, wie sie durch Berichte über den „Turboentzug“ mit angeblichen Wundermitteln geschürt werden. Der Psychiater setzt sich für eine integrative Behandlungsform auch unter Einschluß von Psychopharmaka ein, für „qualifizierte Entgiftung“ mit psychotherapeutischer Unterstützung.

Davon ist man auch in Hamburg in den meisten Fällen noch weit entfernt. Die große Mehrheit der Suchtkranken wird nicht von Spezialisten behandelt. Sie gehen zur Entgiftung ins Krankenhaus und zur ambulanten Versorgung zum Hausarzt, der meist nicht für die Suchttherapie ausgebildet ist. Für die sinnvollste Lösung hält Krausz Tageskliniken, in denen die Süchtigen sowohl medizinisch als auch sozialtherapeutisch und psychiologisch betreut werden. „Sucht ist ein Problem, das über längere Zeit entsteht und dessen Behandlung Geduld und verschiedenste Therapieansätze erfordert.“ Suchtherapie sei harte Arbeit für alle Beteiligten.

In einer öffentlichen Diskussionsveranstaltung im Rahmen der Suchttherapietage wird heute um 17.15 Uhr im Hörsaal des Pädagogischen Instituts, Von-Melle-Park 8, der Sozialwissenschaftler Dr. Günther Amendt über Alternativen zum Drogenverbot diskutieren: „Interessen und Interessengegensätze in der drogenpolitischen Auseinandersetzung“.