Begräbnis erster Klasse

■ Die Premiere von „Das Friedensfest“ von Gerhart Hauptmann in Bremerhaven zeigte: Kann in der Schublade bleiben

Daß Gerhart Hauptmanns frühes Drama „Das Friedensfest“ zu Recht völlig vergessen ist, hat Bremerhavens Oberspielleiter Holger Schultze am Wochenende eindringlich unter Beweis gestellt. Zum 50. Todestag des naturalistischen Dichterfürsten inszenierte er am Stadttheater die haarsträubende Story um eine katastrophal zerrüttete Familie so langatmig-getragen, als wäre es ein bedeutungsschweres Weihespiel. Für den Jubilar ein Begräbnis erster Klasse. „Das Friedensfest“ heißt im Untertitel „Eine Familienkatastrophe“.

Der 27jährige hatte einen vertraulichen Familienbericht Frank Wedekinds als spektakulären Stoff genutzt. Wilhelm, der verlorene Sohn, kehrt am Weihnachtsabend mit seiner zukünftigen Braut in die vor Jahren verlassene Familie zurück. Reumütig macht er einen Kniefall vor dem übermächtigen Vater, einem Arzt und wüsten Trinker, der ebenfalls nach Jahren das Haus zum erstenMal wieder betritt. Wilhelms poetisch begabter Bruder Robert ist ein arger Zyniker, der die Familienbande endlich hinter sich lassen will und im guten Wilhelm die Züge des ungeliebten Vaters entdeckt. Kaum hat er die Tür hinter sich zugeschlagen, bricht der todkranke Vater im Nebenzimmer sterbend zusammen, Schwester Auguste stürzt auf die Bühne und fragt ratlos: „Wer trägt jetzt die Schuld?“

Keine Frage, die Schuld trägt in diesem Sterbefall der Regisseur, der eine Kolportage für Ibsen-reifes Welttheater hält und seine Darsteller vor lauter Respekt andächtig deklamieren läßt. Um das edle Pathos zu unterstreichen, dürfen sie eine ausladende Freitreppe nutzen, die fast den gesamten Bühnenraum einnimmt und einen Erker für den festlich geschmückten Weihnachtsbaum umrahmt.

Da sie sonst nichts anderes zu tun haben, steigen Mutter (Christel Leuner), Vater (Hans-Joachim Hegewald), Söhne, Tochter, Schwiegertochter, Schwiegermutter und der berlinernde Diener (Walter Friedemann) die Stufen auf und ab, aber beileibe nicht komisch oder slapstickhaft-verzeichnet, nein, sie schreiten gravitätisch, sie bleiben würdevoll stehen, und manchmal dürfen sie vorsichtig fallen. Die Farbe, die der Regisseur dem staubtrockenen Spiel völlig ausgetrieben hat - Hagewald als mächtig-muffeliger Vater fällt glücklicherweise sehr angenehm aus der Rolle, holt Bühnenbildner Jürgen Lancier mit einem kunstgewerblichen Kunstgriff zurück: In dem Maße, wie die Familienkatastrophe sichtbar wird, gießt er die Farbe Blau über den gesamten Bühnenraum. Am Ende ist alles eingeblaut.

Warum? Bis zum Ende ist kein Grund in Sicht. Holger Schultze, bekannt für präzises Ensemblespiel und als Lorca-Regisseur im letzten Jahr bejubelt, hat aus Ehrfurcht vor dem großen Namen des Jubilars eine verstaubte Klamotte zu einem Staatsgewand umfärben wollen.

Der gutgemeinte Verzicht auf jeden dekorativen Hauptmann-Plüsch hat aber kein Sprachkunstwerk a la Ibsen zutage gefördert, sondern ein schwaches Frühwerk, das da bleiben sollte, wo es für die Nachwelt abgelegt wurde. In gut sortierten Antiquariaten.

Hans Happel

Weitere Aufführungen am 4., 5., 14., 20., und 21. Juni, Großes Haus des Stadttheaters in Bremerhaven