Stimmen aus der alten Zeit

■ „Die geben die Macht nie mehr her“: Ehemalige KGB-Beamte erklären, warum sie bei den Präsidentschaftswahlen keinesfalls die Kommunisten wählen werden

Oberstleutnant Juri Belousow: Sjuganow redet viel. Er ist eben Politiker. Was er sagt, ist in Ordnung. Er ist nüchtern und scheint ehrlich zu sein. Er verspricht soziale Verbesserungen. Das ist schön. Wer will schon arm und einsam sein. Aber irgendwie ist das total abgehoben. Schließlich ist er mit all diesen Leuten zusammen, die mal in ihren Wolgas oder sogar Chaikas rumgefahren sind. Die an der Macht waren. Die uns angeblich einer strahlenden Zukunft entgegengeführt haben – auf dem schrecklichsten Weg, voller Exekutionen, Gefängnisse und Lager. Ich habe viele Menschen gesehen, die wegen eines unvorsichtigen Wortes – etwa weil sie von den ewigen Warteschlangen genervt waren – vom Staat völlig vernichtet worden sind. Ich bin erstaunt, daß so viele vergessen haben, daß das die Leute sind, die für die Verhaftung so vieler Unschuldiger verantwortlich waren. Und jetzt wollen die wieder an die Macht. Wenn die gewinnen, dann werden sie die Macht nie wieder aus den Händen geben. Verstehen Sie das?

Major Sergej Samojlow: Ich glaube, wenn Andropow nicht krank geworden wäre, wäre das Land am Ende von der Geheimpolizei regiert worden. Die Leute vergessen, was für ein System wir damals hatten. Vor allem unter Andropow füllten sich die Lager. Wir, „die Diener der Partei“, wußten, daß eine neue Repressionswelle begonnen hatte. Infolge der Stagnation war unser Land weit hinter den führenden Industriemächten zurückgefallen. Man brauchte unbezahlte Arbeiter, man brauchte Gefangene in den Arbeitslagern, es gab Gerüchte, daß die KGB- Führung in Zusammenarbeit mit der Kommunistischen Partei eine Repressionskampagne in der ganzen Sowjetunion vorbereiteten.

Ju. B.: Damals hatte ich den Eindruck, daß die KGB-Führung die Parteiführung für Idioten hielt. Breschnew fuhr nach Helsinki und sprach da auf einer Konferenz. Der KGB schickte ein Telegramm an die Regionalbüros mit dem Befehl, Reaktionen in der Bevölkerung einzuholen. Damit fing der Bluff an. Die Offiziere schrieben Zeitungsmeldungen wie: „Der Kolchosearbeiter Malyschnikow, ein Informant, bekannt unter dem Namen Vasek, fand, daß das ganze Dorf Pontelejewka begeistert ist von den klugen Worten des Leonid Ilich...“ Sowas ist wirklich vorgekommen. Und der ganze Quatsch ist dann wieder bis zur Spitze, zum Zentralkomitee vorgedrungen.

Oberstleutnant Valeri Matwejew: Oder denken Sie an die Berichte der republikanischen Komitees oder der Regionalbüros des KGB. Alle Jahre wieder wurden sie komplett mit einer Notiz ans Zentralkomitee geschickt. Die übliche Farce: „Der Einfluß des Feindes wächst; die westliche Spionage ist sehr aktiv; die Feindpropaganda wird immer frecher; unsere Jugend wird korrumpiert...“

S. S.: Aber hinter all dem Bluff lagen die zerstörten Leben. Zynismus war leider ein natürliches Element unserer Arbeit. Doch was in der fünften Regierung und dem dritten Zentraldirektorium vor sich ging, hat selbst mich überrascht, und ich war im aktiven Dienst! Die KGB-Führung verordnete die „Krüppelkampagne“. Bei dieser Operation mußten wir Leute untersuchen, die seit ihrer Kindheit behindert waren. Einer dieser Unglücklichen hatte ausländischen Korrespondenten erzählt, daß Behinderte in der Sowjetunion schlechter behandelt würden als im Ausland. Damit fing es an: Abhören, Observierung, Terror, Provokationen, das ganze Arsenal wurde aufgefahren. Die Kampagne wurde vom Zentralkomitee kontrolliert, wohin die KGB-Führung regelmäßig ihre Berichte schickte. Massenhaft Geld wurde dafür ausgegeben, genug, jedem Behinderten von Moskau einen Rollstuhl zu finanzieren, samt Extraaufzügen in den U-Bahnen.

Ju. B.: Und dann gab es die Operation „junge Leute fassen“! Da hatten sie sich ausgedacht, wie sie zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen könnten: den korrumpierenden Einfluß des Westens auf die Jugend und die Gefahr des Terrorismus aufzuzeigen. Ein Alptraum, den ich nie vergessen werde. Sie fingen mit zwei jungen Soldaten an. Das war eine billige Taktik. Der Agent befreundete sich mit den zwei Wehrpflichtigen und fing an, sich regelmäßig mit ihnen zum Trinken zu treffen. Bei einer dieser Saufereien fing er an zu palavern, daß alle vom Regionalkomitee der Partei erschossen werden sollten, so ungefähr. Die Soldaten waren betrunken, sie stimmten ihm zu. Die Folge war eine Anklage wegen Planung eines terroristischen Angriffs auf Parteiarbeiter. Einer kriegte zehn Jahre Lager, der andere 15. So führte die Sowjetunion ihren Kampf gegen den Terrorismus.

S. S.: An Studenten haben sie

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sich auf dieselbe Weise rangemacht. Sie provozierten sie, Sachen zu sagen wie, daß amerikanische Läden voller Waren wären, bei uns dagegen alles in großen schwarzen Löchern verschwände. Dafür kriegten die dann sieben Jahre Lager. Oder ein anderes Beispiel: In Moskau ging das Gerücht, daß die Hundesteuer erhöht werden sollte. Eine Gruppe von Hundeliebhabern wollte daraufhin mit ihren vierbeinigen Freunden zum roten Platz marschieren, um dagegen zu protestieren. Totale Panik in der Lubjanka! Sie fingen an, nach Mitteln zu suchen, wie man die Hundebesitzer kompromittieren könnte. Höchste KGB-Beamte dachten laut darüber nach, den Hunden Wanzen in den Pelz zu setzen, um die Gespräche der Besitzer abzuhören. Das ist mehr als nur eine Anekdote: Es ist die Geschichte der Kommunistischen Partei der Sowjetunion.

Ju. B.: Wer schon Hundebesitzer derartig belauert, läßt Schriftsteller erst recht nicht aus den Augen. Ihre Wohnhäuser und die Zimmer der Schriftstellergewerkschaft waren vollgestopft mit Überwachungsgerät. Und selbst da war die Sache nicht einfach. Nehmen Sie Solschenizyn: Der sagte ganz offen, daß er unser Feind war. Was auch immer sie ihm im Lager antaten, wie sehr sie auch versuchten, ihn zu brechen: Er blieb fest. Selbst der übelste Gefängniswärter hatte Achtung vor seinem Mut, auch wenn er ihn für seine Auffassungen haßte. Hinter Sjuganow droht der Schatten von Iwan Abramow, Kopf der früheren Fünften Ideologischen Verwaltung des KGB. Er hat diese absurden Prozesse organisiert, über die wir hier sprechen. Irina Ratuschinskaja zum Beispiel wurde im Lager in Moldovia gefangen gehalten; erst 1987 wurde sie freigelassen. Sie war einfach nur ein Mädchen und hat sieben Jahre Lager und fünf Jahre inneres Exil kassiert – für eine einzige Verszeile.

V. M.: Wenn Anatolij Krychkow Chef des Bundessicherheitsdienstes würde und Dunajew Chef des Innenministeriums, würden sie und ihre Sorte von heute auf morgen diesen Kriegskommunismus wiedereinführen. Und es gäbe nicht viele, die auch nur leise dagegen aufbegehren würden. Nachdem man Moskau in ein Lager verwandelt hätte, würden die Regionen innerhalb weniger Tage in die Knie gehen. Ich bin Profi, ich weiß, was ich sage. Der Alptraum würde von vorne anfangen. Sobald sie wieder an der Macht wären, würden sie dafür sorgen, sie nie wieder abgeben zu müssen. Die Erben der Kommunistischen Partei der Sowjetunion würden den selben Fehler kein zweites Mal machen.

Ju. B.: Der KGB hat einiges geleistet, um die Interessen des Staates zu verteidigen. Aber die Führung hat ihre Diener zu Sklaven gemacht, wie alle anderen. Wir hatten Angst, wie alle anderen, vielleicht sogar noch mehr, weil wir gesehen haben, wie Menschen zu Staub zertreten werden können. Ich würde im Leben nicht für Sjuganow stimmen. Ich weiß, was die Leute, die hinter ihm stehen, diesem Land antun würden, wenn sie die Hebel der Macht in die Finger bekämen.

Das Gespräch zwischen ehemaligen KGB- Beamten erschien erstmals im Februar 1996 in Moskovskie novosti.