Und wieder Bad Beuys über Rußland

Rußlands Hauptstadt hat zum Festival „Berlin in Moskau. Die Welt ohne Grenzen“ diverse Künstler zu Gast. Museumsbauten für Ilja Kabakow, elektrisches Heimorgeln und ein Auffahrunfall – ein Galerierundgang  ■ Von Brigitte Werneburg

Mit den Tataren, dem Filz und dem Fett war es nicht so weit her, hört man seit neuestem. Die Beuys-Legende bröckelt. Kürzlich war Ungeheuerliches zu erfahren: Beuys, der Bomberpilot, hat seinen Kollegen Antoine de Saint- Exupéry abgeschossen.

Doch kaum setzte Konstantin Swesdotschetow diese Legende in die Welt, fiel seine Ausstellung „Night Beuys or Non-Russian Boyz“ sinnigerweise einer neuerlichen deutschen Okkupation zum Opfer. Swesdotschetow, der Ende der siebziger Jahre mit den Künstlergruppen „Die Weltmeister“ und „Fliegenpilz“ in Aktion getreten war, hatte „Night Beuys“ gemeinsam mit dem Kritiker Sergei Jepichin in der Moskauer XL-Galerie aufgebaut. Danach wachte jetzt Laura Kikauka über die Versteigerung der „hand-selected consumer items guaranteed to become conversation pieces in your home“, während Gordon Monahan dazu die elektrische Heimorgel spielte: „Midnight Madness Auction“ war eine der vielen Aktivitäten im Rahmen des „Berlin in Moskau. Die Welt ohne Grenzen“-Festivals, das noch bis zum 2. Juni in der russischen Hauptstadt über die Bühne geht.

Für eine Rundfahrt zu den verschiedenen Galerien hatte das Goethe-Institut Moskau, Mitveranstalter neben dem Berliner Senat und dem Stuttgarter Institut für Auslandsbeziehungen, zwei kleine Busse gechartert. Auf der Fahrt zu Lena Romanowas L-Galerie, die, von der Stadt subventioniert, seit den späten 80er Jahren die Moskauer Konzeptualisten protegierte und jetzt das Berliner Medienkunstpaar Nina Fischer & Maroan el Sani zeigt, gelang es einem der Busfahrer in einer großen, übersichtlichen und sehr leeren Kurve am fünfgezackten Armeetheater das einzige kleine Auto zu rammen, das dort geparkt stand. Das gab natürlich Anlaß zum Gespräch zwischen Journalisten, Sprachkursteilnehmerinnen aus Rosenheim und Apparatschiks der Gaz- Prom.

Doch das echte conversation piece wäre eigentlich „Night Beuys“ bei der ehemaligen L- und jetzigen XL-Galeristin Lena Selina gewesen: Swesdotschetow hatte den abstürzenden Flieger Alexander Deinekas, der gerade in der Berlin–Moskau-Ausstellung im Puschkin-Museum hängt, expressiv parodiert, als den schlechthin traumatischen Sturz in unserem Jahrhundert. Als den Sturz, mit dem das Leben des Künstlers Exupéry endete, während mit ihm das künstlerische Leben des Joseph Beuys begann. Denn der Tod des Ikonoklasten Exupéry, der die Boa den Elefanten verschlucken ließ, führte dazu, daß sich Beuys den Hut aufsetzte, der keiner war. Die Aureole aus heiligem Filz hatte sich dieser kleine Prinz schließlich damit verdient, daß er russische Dörfer beschoß, lautet Swesdotschetows Einwand.

Jepichin dagegen insistiert auf dem künstlerischen Konflikt. Daß Beuys das Schaf, das Exupéry in eine Kiste steckte (so daß es eine nur verbal behauptete Existenz führte), aus dieser Kiste der Konzeptkunst rettete, wie der Kritiker meint, stritt der Künstler rundweg ab. Im begleitenden Video verkörperte der Kritiker den Kojoten der Beuysschen „America“-Aktion, wobei er dem Performance-Künstler und Ex-Galeristen Oleg Kulik verblüffend ähnelte. Kulik, der momentan in Berlin beheimatet ist, hat zuletzt als Hund Furore gemacht, der Kunstfreunden ins Bein beißt und an die Säulen hehrer Kunsttempel pinkelt. Swesdotschetow, der mit Kulik, dem „bad beuy“ – um ihn analog zum Ausstellungstitel richtig zu dechiffrieren –, offenbar eine Rechnung offen hat, denunzierte den Kojoten einfach als armen Hund. Der Champagner, den der damalige „Regina“-Galerist Kulik zur Feier eines Flugzeugs aus Filzstiefeln kredenzte, scheint Swesdotschetow schwer aufgestoßen zu sein.

Das Institute of Contemporary Art, das sich in Ilja Kabakows verlassenem Atelier auf dem Srentenski Boulevard befindet, war nach Nina Fischer & Maroan el Sanis „Be Super Natural“-Schau der nächste Programmpunkt. Das unter der Ägide der Performance- Kunst gegründete ICA, das sein Direktor Joseph Bachstein als „eine virtuelle Institution“ beschreibt, die „institutionelle Aktivitäten imitieren oder simulieren muß“, beherbergt seit einiger Zeit das Substitute at ICA. Es handelt sich um das Planungsbüro der beiden Moskau-Stipendiaten des Berliner Senats, Christiane Dellbrügge und Ralf de Moll. Dellbrügge/de Moll entpuppten sich als „Papier-Architekten“ à la Juri Awakumow und Sergei Schutow. Sie reduzierten das Kabakow-Atelier zu einem Modul im Sinne Corbusiers (dessen einziges Moskauer Gebäude aus dem Atelierfenster zu sehen ist). Das ICA-Modul soll, vielfach aufeinandergestapelt, so schlagen sie vor, auf der Großbaustelle eines Supermarktes am Manegenplatz gleich hinter dem Kreml als Institut für zeitgenössische Kunst errichtet werden. Andrei Kowaljow empfand dieses Begehren in der Tageszeitung Segodnja als typisch deutschen Wunsch, „in Rußland für Ordnung zu sorgen“.

Viktor Miziano vom Contemporary Art Center und Kommissar des russischen Pavillons auf der letzten Biennale in Venedig sitzt hingegen schon in einem Büro in Kremlnähe. Im Tausch dafür hat er das CAC geräumt und damit auch alle bis dahin dort ansässigen Galerien vertrieben. Daß der Berliner Kunsttheoretiker und Ausstellungsmacher Thomas Wulffen und zwanzig Berliner Künstler, die er als Kurator von „Laboratorium Berlin–Moskau“ eingeladen hat, nun diese leeren Räume bespielen, ist natürlich nicht ihr Fehler. An sich ist diese show in progress politisch völlig korrekt und beruht auf der Idee, zunächst einmal das Autonom-Werden der Sprache im Kontext der Warenästhetik künstlerisch aufzuarbeiten. Das macht in der von westlichen Konsumkunstwörtern überschwemmten Hauptstadt einigen Sinn. Auch die Fortführung, die vielfältigen medialen Transformationen des Bildes aufzuzeigen, will auf Übersetzungs- und Interpretationsleistungen verweisen.

Alles andere als politisch korrekte Kunst war am gleichen Abend in einer der aus dem CAC vertriebenen Galerien zu sehen. Die Gruppe AES, Tatjana Arsamasowa, Lew Jewsowitsch und Jewgeni Swjatski, präsentierte sich bei Marat Guelman als antiislamistisch. AES zeigte Fotomontagen der tief verschleierten Freiheitsstatue mit dem Koran in der Hand, oder das Centre Pompidou als eine Art neues Mekka. Für Berlin scheint ihr Vorschlag allerdings von ebenso multikultureller Größe wie problemlösender Schlagkraft: Eine schönere Kuppel als die der Hagia Sofia kann der Reichstag gar nicht kriegen.