Entweder wir Juden oder die Araber

Der „Machane Jehuda“-Markt in Jerusalem ist eine rechte Hochburg. Die orientalischen Juden wählen Netanjahu und verlangen mehr Härte gegenüber den Palästinensern  ■ Aus Jerusalem Karim El-Gawhary

Inmitten des Marktgeschreis, zwischen Tomaten, Gurken, Aprikosen und Pflaumen, blickt dutzendfach das zuversichtliche Antlitz Benjamin Netanjahus auf das Gewusel von Käufern und Verkäufern. Auch andere Porträts rechtsextremer Politiker, die jedem Palästinenser das Blut in den Adern gefrieren lassen, wie Ariel Scharon oder Raffael Eitan, schmücken mitunter das Marktgeschehen. Der „Machane Jehuda“- Markt im Zentrum Jerusalems ist eine rechte Hochburg, von Netanjahus Likud bis hin zur kleinen Moledet-Partei, die einem „Transfer“ der Palästinenser in andere arabische Länder das Wort redet. Wenn Likud-Chef Netanjahu morgen gegen Schimon Peres in einem – nach jüngsten Meinungsumfragen – Kopf-an-Kopf-Rennen um das Amt des israelischen Ministerpräsidenten antritt, kann er hier mit einer soliden Mehrheit rechnen.

Es sind vor allem orientalische, aus den arabischen Ländern stammende Juden, die hier ihre rechten Banner hochhalten. „Natürlich wähle ich Netanjahu, und meine Zweitstimme gebe ich der Moledet“, sagt Jitzhak Chimon in gebrochenem Arabisch. Chimons Vater kam ursprünglich aus dem Nordirak. „Entweder wir Juden oder die Araber“, ist seine einfache politische Philosophie. Das Problem sei seiner Meinung nach, daß die Juden viel zu nachsichtig mit den Arabern umgingen. „Wir haben 21 Tage lang im Libanon gekämpft, wenn wir gewollt hätten, hätten wir das ganze Land platt machen können.“ Während er das von sich gibt, grinst er einen Palästinenser an, der am Nebenstand arbeitet. – „Die haben alle ein leichtes Rad ab und sind nicht ganz ernst zu nehmen“, entgegnet dieser. Wie um seine Worte zu unterstreichen, prallt kurz darauf ein Wurfgeschoß in Form einer Tomate von Chimon ab. Was folgt, ist eine Schimpftirade von beiden Seiten, die aber ebenso schnell verstummt, wie sie angefangen hat.

Der Ton untereinander ist rauh, und doch arbeitet man irgendwie zusammen. Fast hat der Umgang zwischen den orientalischen Juden und den Palästinensern auf dem Markt etwas Familiäres. Chimon bittet den Palästinenser, kurz für ihn Arabisch zu übersetzen, damit er sich besser verständlich machen kann. „Eigentlich sollte man alle Palästinenser rausschmeißen“, übersetzt dieser die Worte Chimons. Aber irgendwie sieht Chimon ein, daß das nicht ganz praktikabel ist. Also sollte man am besten alle trennen. In jedem Fall hofft er, daß Netanjahu härter mit den Arabern ins Gericht geht. Daß er tagaus, tagein wie naturgegeben mit seinen palästinensischen Standnachbarn plaudert, gibt seinem rassistischen Gerede nicht gerade mehr Überzeugungskraft.

Viele der orientalischen Juden haben als jüdische Bürger zweiter Klasse den rechten Rand als ihre politische Heimat gewählt. Sozial und wirtschaftlich stehen viele auf der untersten Stufe der jüdischen Gesellschaft. Da heißt es, sich wenigstens über die Palästinenser zu erheben, denen sie kulturell oft näherstehen als so manchen europäischen Juden.

„Peres?“ Der Obstverkäufer Jitzhak Haim, ebenfalls ein Jude irakischer Abstammung, zieht eine Grimasse. Der gäbe alles viel zu schnell weg. Netanjahu ist da sicherlich stärker. „Jerusalem ist unsere Stadt, wir wollen da keine Zugeständnisse machen, und es ist besser, wenn alles direkt von Israel kontrolliert wird.“ Falls Peres gewählt wird? Haim zuckt mit den Schultern. „Wir werden es überleben, dann stellen wir uns eben hinter ihn.“

Fast alle reagieren gleich auf die Frage: Netanjahu oder Peres? Peres sei zu hintenherum, man könne ihm nicht vertrauen. Netanjahu stehe dagegen zu seinem Wort und sei wesentlich direkter. Für Harun Jussuf, dessen Vater ebenfalls aus dem Irak kam, liegt das Problem auch an den Aschkenasim, den europäischen Juden, die wie Peres einfach keine Ahnung hätten, wie man mit Arabern umgehen muß. Jussuf, dessen Statur und Oberarme so aussehen, als würde er den ganzen Tag nur Obstkisten stemmen, erklärt in fließendem Arabisch: „Hätte man das mit den Palästinensern uns orientalischen Juden überlassen, dann hätten wir's schon längst gelöst. Wir wissen, wie wir mit ihnen feilschen müssen, wir haben die gleiche Mentalität.“ Nach dem Motto: „Was will ich, was willst du, und Schluß.“ Es ist nicht die Aussicht auf eine friedliche Lösung mit den Palästinensern, die sie abschreckt, aber der Ruck-zuck-Prozeß, der womöglich dahin führt, ist so gar nicht nach ihrem Geschmack.

In einem kleinen Laden, der Tamarinden- und Mandelsaft anbietet, wartet Schlomi Naqasch auf Kunden. Von Netanjahu ist er ganz und gar nicht überzeugt. Er sei nicht stark genug. Naqasch wird ihm aber trotzdem seine Stimme geben. Sein ganzes Leben sei schon jetzt versaut, bricht es dann aus dem 23jährigen heraus. Zwei Jahre sei er bei der Armee gewesen. Zuerst im Gaza-Streifen, dann in Hebron. Dort hat er die Drecksarbeit gemacht. In Gaza hat ihn ein Palästinenser angeschossen. „Ich hatte mich gerade ein wenig geduckt und nicht aufgepaßt, schon hatte ich eine Kugel in der Schulter.“ Während er das erzählt, ahmt er die ganze Szene neben der Eistruhe in seinem Laden nach. Zwischendrin war er aus Gründen, die er nicht näher ausführt, im Gefängnis. Einer seiner besten Freunde ist im März bei einem Hamas-Anschlag auf einen Autobus in Jerusalem umgekommen. Seine ehemalige Freundin wurde von einem Palästinenser niedergestochen. Er findet das alles Quatsch, was so rund um die Wahlen erzählt wird. „Ehrlich gesagt“, meint er kleinlaut, „weiß ich gar nicht, was ich wählen soll, ich finde das alles verwirrend.“