Indiens Premier steigt aus der Bütt

Regierungsbildung der nationalistischen Hindu-Partei scheitert am Mißtrauen möglicher Koalitionspartner. Jetzt bekommt die oppositionelle Einheitsfront eine Chance  ■ Aus Delhi Bernard Imhasly

Die neue indische Regierung hat gestern ihren Rücktritt erklärt. Die Vertrauensabstimmung, die Premierminister Atal Bihari Vajpayee erst am Montag dem Parlament unterbreitet hatte, fiel schlicht aus. Vajpayee zog es vor, am Schluß einer zweitägigen Parlamentsdebatte das Handtuch zu werfen. Er beendete seine Rücktrittserklärung effektvoll mit dem Verlassen des Hauses und der Fahrt zum Palast des Präsidenten, dem er seine Abdankung unterbreitete. Zuvor hatte er sich bereits auf seine neue Rolle als Oppositionsführer eingestimmt und seinen Herausforderern unerbittliche Gegnerschaft angekündigt. Er verteidigte noch einmal die Berechtigung des Regierungsanspruchs seiner Hindu-Partei, auch wenn die BJP in den jüngsten Wahlen zusammen mit ihren verbündeten Kleinparteien nur 194 von 537 Sitzen erobern konnte. Der Versuch, nach dem Auftrag zur Regierungsbildung weitere Parteien auf ihre Seite zu bringen, mißlang.

In der heftig geführten Debatte kam immer wieder die Verwüstung der Moschee von Ayodhya im Jahr 1992 zur Sprache, die für viele das Mißtrauen begründete. Sie war in Verletzung von formellen Zusicherungen im Parlament und vor dem Obersten Gericht geschehen und galt vielen Indern als Beweis, daß die Partei keine Kontrolle über die radikalen hinduistischen Gruppierungen in ihrem Umfeld hat. Viele Inder sehnen sich zweifellos nach einer Alternative angesichts des Verbrauchs der lange dominierenden Kongreßpartei. Aber sie mißtrauen offensichtlich einer Ideologie, die die Disziplinierung der Gesellschaft auf der Basis konservativer religiöser Werte anstrebt und damit die kulturelle und soziale Vielfalt im Lande gefährdet.

Die Opposition, die sich nun unter dem Namen Einheitsfront anschicken wird, die Regierung zu bilden, ist ein Abbild dieser Vielfalt. Unter ihren dreizehn Mitgliedern finden sich regional-ethnische Gruppierungen, Linksparteien, Interessenvertreter der unteren Kasten sowie heimatlose Absprengsel der Kongreßpartei. Die größte Fraktion, jene der Kommunisten, hat beschlossen, der Regierung fernzubleiben, sie aber von außen zu unterstützen. Mit ihren 180 Sitzen ist die Einheitsfront auf die Unterstützung der Kongreßpartei angewiesen. Diese hat eine solche zugesichert, aber niemand glaubt, daß sie so bedingungslos sein wird.

Seinen designierten Nachfolger Deve Gowda hatte Premierminister Vajpayee in seiner Abdankungsrede mit den höhnischen Worten bedacht, er habe erst als vierte Wahl das Plazet aller Parteien gefunden. Gowda ist Chefminister des südindischen Bundeslandes Karnataka, wo er eine markt- und ausländerfreundliche Wirtschaftspolitik verfolgt hat. Der Umstand, daß er sich nicht für einen Parlamentssitz beworben hat — was er nun nachholen muß —, zeigt, daß er keine nationalen Ambitionen pflegte. Dies dürfte ihn wohl auch für andere Thronanwärter akzeptabel erscheinen lassen. Es wird erwartet, daß Deve Gowda bereits heute von Präsident Sharma den Auftrag zur Regierungsbildung erhalten wird.