Blindflug der Kriminalisten

Die Regierungskoalition fordert neue Rechte für die Polizei. Die Wirksamkeit von V-Leuten und Schleppnetzfahndung aber bleibt nebulös  ■ Aus Berlin Wolfgang Gast

Kontrolle ist gut, Vertrauen ist besser. Die Umkehrung des leninistischen Leitsatzes drängt sich auf, liest man die Antwort der Bundesregierung auf eine Große Anfrage der Bündnisgrünnen zu „Anwendung, Effektivität und Kosten neuartiger polizeilicher Ermittlungsmethoden“. Fazit: Nix Genaues weiß man nicht. Die mageren Statistiken geben nur wenig her: Ob verdeckte Ermittler oder V-Leute der Polizei, ob Raster- oder Schleppnetzfahndnug – seriös lassen sich die neuen Fahndungsmethoden nicht beurteilen.

Auch eine Ende 1994 beim Bundeskriminalamt eingerichtete „Rechtstatsachensammelstelle“ schafft keine Abhilfe, denn die Wiesbadener Behörde erfaßt nur „beispielhafte Fälle“.

Anlaß der Anfrage war für die Bündnisgrünen die laufende Debatte über den von den Koalitionsparteien beschlossenen Großen Lauschangriff und die Forderung der Union, verdeckten Ermittlern milieubedingte Straftaten zu erlauben. Vor einer erneuten Ausweitung der Polizeibefugnisse, forderte die Bundestagsfraktion der Bündnisgrünen, müsse aber erst geprüft werden, „in welcher Weise und mit welchem Erfolg die bereits bestehenden neuartigen Ermittlungsmethoden in der Praxis angewendet wurden und welche materiellen wie immateriellen Kosten sie verursacht haben“.

Die Antwort bleibt die Bundesregierung im wesentlichen schuldig. Zuständig für die Beantwortung der 75 detaillierten Fragestellungen war das Bonner Innenministerium. Mangels eigener Erkenntnisse flüchtet es sich in nebulöse Aussagen. Etwa: „Die vergangenheitsbezogene rechtstatsächliche Anwendung geltendes Rechts, auf die sich die Fragesteller beziehen, ist zwar eine wichtige, aber keinesfalls die einzige Entscheidungshilfe zum Erkennen gesetzgeberischen Handlungsbedarfs.“

In Hinblick auf die Fragen erklärte die Bundesregierung, sie habe Stellungnahmen bei den Bundesländern und dem Bundeskriminalamt eingeholt. Die Länder hätten aber darauf hingewiesen, „daß zu einem großen Teil der Fragen kein statistisches Material vorliegt“. Der mit der Beantwortung verbundene Arbeitsaufwand könne seitens der Länder wegen der sonstigen Geschäftsaufgaben nicht geleistet werden. Teilweise unterlägen die Angaben aber auch als Verschlußsachen der Geheimhaltung, bestimmte Angaben könnten auch „aus polizeitaktischen Gründen“ nicht veröffentlicht werden.

Allein zum Thema Rasterfahndung, dem maschinellen Abgleich personenbezogener Daten, hatte die bündnisgrüne Fraktion 16 Fragen gestellt. Lapidar heißt es in der Antwort: „Vom Bundeskriminalamt und der überwiegenden Mehrheit der Länder sind entsprechende Maßnahmen nicht durchgeführt worden.“ Zwei Länder hätten mitgeteilt, derartige Maßnahmen durchgeführt zu haben. Die Angaben seien „damit nicht geeignet, bundesweit die praktische Anwendung der Befugnis zu erhellen“.

Ebenso vage bleiben die Antworten zur Überwachung elektronischer Kommunikationsmittel. „Fünf Länder haben hierzu Angaben gemacht. Aus diesen Angaben geht hervor, daß neben Telefonverbindungen Telefax-, Telex- und T-Onlineverbindungen (BTX) überwacht wurden, wobei der Anteil dieser Fernmeldeverbindungen an den insgesamt abgehörten sehr gering war.“ Näheres könne aus „polizeitaktischen Gründen“ nicht veröffentlicht werden.

„Polizeitaktische Gründe“ heißt es auch zur Frage, welche technischen Überwachungsmittel zu welchen Ermittlungserfolgen geführt hätten oder wie oft elektronischen Wanzen durch verdeckte Ermittler und V-Leute der Polizei installiert wurden.

Auch wenn statistische Angaben vorliegen, Schlußfolgerungen lassen sich kaum ziehen. Die Frage, wie oft verdeckte Ermittler bei der Strafverfolgung eingesetzt würden, beantworteten 10 der 16 Bundesländer. Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern gaben für den Zeitraum 1990 bis 1994 „bisher keine Einsätze“ an. Das bevölkerungsreichste Bundesland Nordrhein-Westfalen meldet 90 Einsätze. Baden-Württemberg dagegen gab für 1992 bis Mitte 1995 1.009 solcher Einsätze an, mehr als zehnmal soviel wie in Nordrhein- Westfalen. Auch der Hinweis, im Schwabenländle seien diese Einsätze in einem hohen Anteil nur „kurzfristig und punktuell zur Kontaktaufnahme und Abwicklung von Scheinaufkäufen von Betäubungsmitteln oder anderen Gegenständen“ erfolgt, erklärt die Differenz nicht.

So wenig, wie die Antworten der Bundesregierung hergeben, so vollmundig fallen ihre Rechtfertigungen für den angeblichen weiteren gesetzgeberischen Bedarf aus. „In den vergangenen Jahren“, heißt es am Ende der 33seitigen Antwort der Bundesregierung, „haben organisiertes Verbrechen und Gewaltkriminalität in einem Maß zugenommen, das staatliches Handeln erforderlich macht“. Die Behauptung einer gestiegenen Gewaltkriminalität widerspricht nicht nur der jüngst von Innenminister Manfred Kanther selbst vorgelegten Kriminalitätsstatistik. Die Behauptung hat vor allem eine legitimatorische Funktion für neue „Gegenmaßnahmen“.