Weiblichkeit als Maskerade

■ Spike Lee inszeniert in Girl 6 Telefon-Sex und Rollenspiele

Die Telefonsexzentrale ist in einem Großraumbüro, mit Sichtblenden und obligatorischen Kaffeeautomaten. In einem Fortbildungskurs erklärt die afro-amerikanische Chefin im Business-Dress ihren Mitarbeiterinnen an einer Schautafel die gängigen Charaktere. Von der Dominatrix bis zur Freundin von Nebenan reicht die Palette. „Ihr seid selbstverständlich weiß“, schränkt die Ausbilderin ein, „Es sei denn, jemand verlangt etwas anderes.“ Der Kunde ist – auch das ist wie in jedem anderen Job – König. Ihm gilt das Rollenspiel.

Spike Lee nähert sich Telefon-Sex ohne jeden Voyeurismus und ohne die hartnäckige Legende vom gefallenen Engel. Vielmehr begreift Girl 6 (Theresa Randle) Verbal-Erotik zunächst als praktische Alternative zum Schauspielern. Eine lukrative und wegen der Körperlosigkeit weniger entwürdigende Alternative, wie die Anfangsszene von Girl 6 zeigt, in der Quentin Tarantino als angesagter Regisseur beim Casting nur ihre silicon-gestärkten Möpse sehen will. Das erfordere die Rolle, wie er meine. „Denn wir wollen den Film aus der Perspektive einer Afro-Amerikanerin drehen.“ Spitzfindig befördert hier ein PC-Argument die Exploitation.

Doch dieser Film wird nie gedreht. Stattdessen dreht Spike Lee aus der Perspektive einer Afro-Amerikanerin. Ihm geht es aber nur anfangs um einfache Ausbeutungsmechanismen doppelt marginalisierter afro-amerikanischer Frauen. Vielmehr inszeniert er deren Maskeraden. Die Filmhandlung anhaltend, wechselt Theresa Randle, vor dem Spiegel und assistiert von Spike Lee in der Rolle als Nachbar und retardierter Baseball-Freak, die Rollen. Als Putzfrau, unbedarftes Schulmädchen, Fly-Girl, Black-Panther-Aktivistin und Carmen agiert Randell lustvoll all das aus, was sie an der Strippe nicht durfte: Bilder afro-amerikanischer Weiblichkeit.

„Sich zu maskieren bedeutet eine Lücke zu schaffen, indem man eine gewisse Distanz zwischen sich selbst und sein Bild bringt“, weist die feministische Film- und Maskerade-Theoretikerin Mary Anne Doane aus. „Die Maskerade hält Weiblichkeit auf Distanz, indem sie sie zur Schau stellt. Weiblichkeit wird zur Maske, die getragen und abgelegt werden kann.“ Bei Filmseminaristen manchmal trockene Begriffsverschiebung, gerät das Thema in Girl 6 zu einer grotesk-komischen Verkleidungsorgie, bei der wild gezappt werden darf.

Aber Spike Lee ist zu klug, allein das befreiende Potential der Rollenspiele zu zeigen. Zusehends verliert sich Girl 6 zwischen der Realität und ihren Soap Operas und treibt unter psychedelischen Farben schwer angeschlagen durch die Wohnung. Ein perverser Anrufer sagt es ihr dann ins Gesicht: „Du bist nichts. Du bist niemand!“

Volker Marquardt

City, Neues Cinema, Oase