Kompetenz ist Ansichtssache

■ Auftakt im Hamburger Müllschieberverfahren / Shell-Mitarbeiter vertraute windigem Entsorger: „Er machte einen guten Eindruck.“ Von Vera Stadie

Prozeßauftakt um eine der größte Müllschiebereien in der Geschichte der Hansestadt. Auf der Anklagebank: Der Shell-Mitarbeiter Andreas B., der sich vor dem Hamburger Landgericht seit gestern wegen unerlaubter Beseitigung umweltgefährdender Abfälle verantworten muß. Der ehemalige Leiter der Bauabteilung der Hamburger Dependance des Ölmultis hatte 1992 die Norderstedter Ent-sorgungsfirma A.S.N. beauftragt, 500 Kubikmeter geschredderte Holzreste eines abgewrackten Kühlturms zu beseitigen.

Doch die mit Schwermetallen und Pentachlorphenyl verseuchten Abfälle kamen nie auf einer Deponie an. Sie verschwanden auf einem ungesicherten Grundstück im mecklenburgischen Holthusen, das einer Partnerfirma der A.S.N gehörte. Kein Einzelfall: A.S.N.-Geschäftsführer Wolf Rüdiger Greht entsorgte gemeinsam mit einem Schweriner Geschäftspartner über ein umfangreiches Firmengeflecht zahlreiche Problemfrachten Hamburger Industriebetriebe. Stets wurden die Müllfrachten illegal entsorgt. Die Quittung für den Müllschieber: im November wurde er in Schwerin zu einer zweijährigen Bewährungsstrafe wegen mehrfacher umweltgefährdender Abfallbeseitigung verurteilt.

In dem Hamburger Verfahren geht es nun um die Frage, ob Andreas B. wußte, wohin der Shell-Sondermüll gelangte oder ob er es zumindest hätte wissen müssen, wenn er die vorgeschriebenen Entsorgungskontrollen gewissenhaft getätigt hätte. Weil Greht angeboten habe, den Holzberg schneller wegzuschaffen, als die Entsorgungs-Mitbewerber, habe er den lukrativen 950.000 Marks-Auftrag erhalten, nennt Andreas B. sein Haupt-Entscheidungskriterium für eine umweltgerechte Müllbeseitigung. Wohin genau, danach habe er nicht gefragt. Auch sei ihm nicht „der geringste Verdacht“ gekommen, daß Greth wohlmöglich die Kompetenz zur Abfallentsorgung fehlen könne. Andreas B: „Die Firma A.S.N machte einen guten Eindruck. Ich war hundertprozentig sicher, daß alles den richtigen Weg ging“.

Der gute Eindruck den der Müll-Mafioso auf Andreas B. machte, führte dazu, daß sich die Shell AG nach Angaben des Angeklagten nicht mehr darum kümmert, wo ihr Müll abgekippt wurde, und nur einen „vereinfachten Entsorgungsnachweis“ anforderte. Daß das Abfallgesetz vorschreibt, daß der Müll-Erzeuger von der Deponie eine Annahmeerklärung erhält, wurde ignoriert. Mit Abfallentsorgung hätte er seinerzeit keine Erfahrung gehabt, versucht Andreas B. sein Schlampstück vor Gericht zu erklären. „Das gehörte nicht zu meinen üblichen Aufgaben.“

Das räumt auch Shell-Sprecher Rainer Winzenried ein, indem er bestätigt, daß die Shell-Hamburg erst „seit drei Jahren“ eigene Umweltschutzexperten für die Abfallentsorgung beschäftigt, die persönlich kontrollieren würden, ob der Abfall einen ordnungsgemäßen Weg geht. Und während den Ölkonzern keine weiteren juristischen Konsequenzen erwarten, muß auch Andreas B. nicht befürchten, für seine Beteiligung an den Müllschiebereien allzu hart bestraft zu werden: Die Staatsanwaltschaft beantragte lediglich eine Geldstrafe von 90 Tagessätzen.