: Keine Chance für Oldies
■ SchülerInnen an der Ronzelenstraße streiken gegen alte Lehrer und für junges Blut
„Streik“ prangt in roten zackigen Buchstaben auf dem Transparent über der Eingangstür des Schulzentrums an der Ronzelenstraße. Die Klassenräume sind verwaist. Die 540 SchülerInnen der Orientierungsstufe, der Haupt- und Realschule sowie des Gymnasiums kommen heute ohne Lehrer aus. Aber nur heute. Ansonsten wünschen sie sich „mehr Unterricht“, „Bildunck“, „mehr Lehrer“ – und zwar „keine alten Macker, sondern junge Knacker“.
Aus einem tragbarem CD-Player stampft der Sound von „Captain Jack“ über den Flur. Ein Schüler sitzt im Schneidersitz auf dem Steinfußfoden und wippt mit dem Kopf im Takt. „Wir wollen nicht solche alten Gewitterziegen als Lehrerinnen“, sagt der zwölfjährige Stefan. „Die bringen uns Sachen bei, die wir schon in der vierten Klasse hatten.“
„Die alten Lehrer wissen doch gar nicht, was heute abläuft“, findet auch der 13jährige Sohrab. „Ich hatte mal ne' Hose an, die hing vorne über die Schuhe rüber. Unser Lehrer, so'n alter Knacker halt, hat gefragt: „Wie ziehst Du Dich denn an. Das ist doch eine Hose von Deinem Vater. Jungen Lehrern würde das nicht passieren.“
Schulleiterin Barbara Schmitt-Corsten (52) kann die Kritik der Schüler gut nachvollziehen. „Wir sind fast alle jenseits der 50“, beschreibt sie ihr Kollegium. „Und mit 50 ist man für die Jugendlichen nun mal uralt“, sagt sie nüchtern. „Wir bräuchten dringend jüngere Kolleginnen. Mit den Jahren ist man auch nicht mehr so belastbar, und das merkt man auch an den Krankmeldungen.“
„Dieses Jahr gehen in der Stadtgemeinde Bremen allein 103 Lehrer in den Ruhestand. Nur 17 dieser Stellen werden wiederbesetzt“, weiß auch Schulsprecherin Madita Gosch. „Das heißt, obwohl die Schülerzahl laut Statistik um etwa zwei Prozent steigt, will der Senat 86 Lehrerstellen einsparen“, diktiert die 14jährige Gymnasiastin der Journalistin druckreif in den Block. „Das können wir uns nicht länger gefallen lassen.“
Als Schulvollversammlung getarnt haben die SchülerInnen deshalb in der Aula eine Protestveranstaltung organisiert. Die Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW) redet, die SchülerInnen sitzen im Schneidersitz auf dem Fußboden und lauschen, verteilen Flugblätter oder verkaufen Kuchen – zum Wohl des Senats, der ein bißchen Geld in der Kasse bitter nötig hat. „Nur Kinderfeinde sparen an der Bildunck“, steht auf einem Transparent.
„Wenn ein Lehrer krank ist, fallen sofort drei Stunden aus“, beschwert sich die zwölfjährige Kristina. „Wir hatten ein Vierteljahr kein Deutsch, keine Weltkunde und keine Kunst“, erzählt auch die zwölfjährige Gesa. „Ein, zwei Mal kam eine Vertretung. Das war's“, bestätigt auch ihre Klassenkameradin Vanessa (12). „Jetzt versuchen wir, alles nachzuholen und schreiben eine Arbeit nach der nächsten. Wir werden voll unter Druck gesetzt.“ Kristina schüttelt den Kopf. „In Deutsch und Weltkunde hinken wir so hinterher. Das holen wir nie wieder auf.“
„Die Vertretungslehrer bringen ja auch nichts“, schimpft die zwölfjährige Nienke. „Neulich haben wir im Englisch-Unterricht den Prospekt der „China-Wochen“ bei McDonalds durchgenommen. Das nennt sich dann Vertretung.“
Unterdes hat sich ein Lehrer ans Mischpult gesetzt und versucht, die Brücke zwischen jung und alt mit Musik zu schlagen. „Jimmi wollt' ein Mädchen lieben. Doch ein anderer kam daher“, schmalzt Freddy Quinn durch die Boxen. „Das war 1957. Da war ich gerade neun Jahre alt“, plaudert der Lehrer munter drauf los. Ein Schüler verdreht die Augen, einige haken sich unter und schunkeln im Takt. Flugblätter werden zerrissen und zu winzigen Papierkügelchen gedreht, die wenig später durch die Luft fliegen. „Unsere Lehrer sind lieb, nett, aber zu alt. Jüngere verstehen einfach mehr Fun“, sagt die zwölfjährige Anja. Damit ist die 14jährige Nienke ganz und gar nicht einverstanden. „Zu uns hat mal eine Lehrerin gesagt, wir wären scheiß' deutsche Wohlstandskinder“, klagt sie und streicht sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Das winzige Papierkügelchen, das unbemerkt auf ihrem Kopf gelandet ist, fällt runter. „Übrigens finde ich es unangemessen, was ihr hier mit unseren Argumenten macht“, ruft der Lehrer ins Mikrophon. Mittlerweile ist er mit seiner musikalischen Zeitreise bei „Sunshine Superman“ aus den Sixties angelangt. „Wer hat dieses Stück gesungen“, will er wissen. „Heino“, „Michael Jackson“, schallt es aus der Schülerschar. „Donovan“, gibt der Lehrer zurück. „Hä, wer is n' das“, fragt sich ein Schüler und zieht die Nase kraus. „When a man loves a woman“, dröhnt kurz darauf durch den Lautsprecher. „Das war 1967. Während meiner Studienzeit“, erzählt der Lehrer. „In diesem Jahr ist auch ein Mann namens Che Guevara erschossen worden. Der ist euch bestimmt unbekannt.“
„Immer dieses olle Zeugs“, beschwert sich die 14jährige Frauke. „Die älteren Lehrer nehmen immer solche alten Sachen durch, wie den Zweiten Weltkrieg, oder so.“ „Wir hatten mal einen Vertretungslehrer in Geschichte, der ist mit uns zum Oikos-Gelände am Uni-See rausgefahren. Da mußten wir so leben, wie die Bauern damals. Klasse. Der hat aber keine Stelle bekommen“, erinnert sich der 15jährige Frank.
Plötzlich herrscht Aufbruchstimmung in der Aula. Elf Uhr. Der Schulstreik ist zuende. Die Schüler strömen nach draußen. Vorn am Mischpult sitzt der Lehrer mit seinen Kassetten. Für Bob Dylan ist keine Zeit mehr. „Vielleicht im Pausenradio“, überlegt er laut. „Aber nein, Oldies haben ja keine Chance mehr. Und wir, Eure Lehrer, sind ja auch alles Oldies.“
Kerstin Schneider
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