■ Nachschlag: Daunen zu Engelsflügeln: Das Orphtheater zeigt „Quixote“
Schon auf der Treppe heften sich einem Flaumfedern an die Knöchel. Drinnen, im winzigen Theaterraum in der Sredzkistraße, den das Orphtheater seit letztem Sommer bewohnt, sitzt man dann an den Seiten beieinander wie die Hühner auf der Stange und muß sich mächtig den Hals verdrehen, um auf die Bühne zu blicken. Und während zu Füßen des Publikums der Inhalt mehrerer Kopfkissen über den Boden flust, leitet ein waagrecht von der Decke hängender Baumstamm ins Phantasien von Don Quixote und den Seinen über – ein karges Land, in dem sich am trockenen Holz die Träume entzünden und die Daunen allemal zu Engelsflügeln taugen.
Don Quixote (Matthias Horn), der edle Ritter von der traurigen Gestalt, und Sancho Pansa (Uwe Schmieder), sein gewitzter, treuer Stallmeister. In Lumpen gehüllt, dreckig, aber mit leuchtenden Augen beide. Was für ein Bild, wenn sie dicht an dicht auf der Stelle reiten, sich Antje Görner als Stute Rosinante vor den einen drängt, Kathleen Monden als Esel vor den anderen! Die zarte Rosinante schnaubt und wiehert gekonnt, der Esel plumpert angemessen einher und wirft vielleicht allzu tiefe Blicke. Viel passiert nicht. Der Ritter redet emphatisch wirr, eilt Löwen entgegen, hält die bekannten Windmühlenflügel für Monster und fährt übers Meer in die Lüfte, Dulcinea im Herzen und der Sonne entgegen. Sancho und die anderen versuchen liebenswert, ihn zurückzuhalten, aber wenn Horn dann glutvoll durch die Zuschauerreihen schreitet und schließlich flaumfederverklebt auf einem Thron sitzt, können auch sie für nichts mehr garantieren – Quixotes Reich ist eben nicht von dieser Welt.
Des Cervantes' fast 400 Jahre alte Ritterromansatire zum Mysterium komprimiert. Kein Verwirrspiel um Vernunft contra Idealismus, sondern ein stufenloser Weg zur träumerischen Erleuchtung. Regisseurin Susanne Truckenbrodt beschwört das magische Moment im Theater: Aus sich heraus eine Welt erspielen – Gegenöffentlichkeit, die intimste Variante. Was ihr gelingt, ist eine in ihrem ernsthaften, aber nie bleiernen Willen zur Geistigkeit wirklich schöne Szene. Aber doch kaum mehr als eine Szene. Man hätte sich ein handfestes Stück drumherum gewünscht. Petra Kohse
Heute, 13.-16.6., 20.-23.6., 21 Uhr, Orphtheater, Sredzkistraße 64
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