Arbeiten für die RAF

■ Antiterrorismuskampf der Justiz: Wer sagt, die RAF lebt, hat weniger Freizeit

Wie macht man aus einer Mücke einen Elefanten? Man klagt vier Männer und Frauen, die den Spruch „RAF lebt!“ auf ein Transparent und eine Jalousie gemalt haben, der Werbung für eine terroristische Vereinigung an. Die Justizpressestelle hatte im vorauseilenden Gehorsam irrtümlicherweise ein Verfahren wegen „Bildung einer terroristischen Vereinigung“ angekündigt.

Drei Jahre und zwei Monate hat sich das Gericht Zeit gelassen, um schließlich gestern das nach Jahren erste Verfahren dieser Art in Berlin zu eröffnen. Zwei Männer und zwei Frauen mußten sich vor einem Hilfsstrafsenat des Kammergerichts verantworten, der vor einiger Zeit wegen chronischer Gerichtsüberlastung eingerichtet wurde.

Den zwei Frauen im Alter von 21 und 25 Jahren und einem 21jährigen war von der Staatsanwaltschaft vorgeworfen worden, am 28. März 1993, einen Tag nach dem Anschlag der Roten Armee Fraktion auf den Gefängnisneubau im südhessischen Weiterstadt, auf dem Kurfürstendamm ein „RAF lebt!“-Transparent getragen zu haben. Wenige Tage später war die 25jährige gestellt worden, als sie im Beisein des vierten Angeklagten im Alter von 23 Jahren den gleichen Spruch an die Jalousie eines Hauses in der Rigaer Straße im Friedrichshain gesprüht hatte.

Die Angeklagten erinnerten sich gestern kaum noch an die über drei Jahre zurückliegenden Ereignisse, die der Staatsanwaltschaft um so besser präsent waren. Aus einer „Partystimmung“ heraus hätten sie das Transparent gemalt, sagte eine 25jährige angehende Erzieherin. „Ich weiß nicht, ob wir uns großartig Gedanken gemacht haben, ob das verboten ist“, fügte sie hinzu. Zu dem richterlichen Vorwurf eines „zeitlichen Zusammenhanges“ zu dem Gefängnisanschlag äußerten sich die Angeklagten nicht.

Glücklicherweise ersparte der Richter sich und den anderen Prozeßbeteiligten peinliche Fragen nach der Bedeutung oder der Existenz beziehungsweise Nichtexistenz der RAF. Lediglich einen der Angeklagten fragte er: „Aber Sie wissen schon, was die RAF ist?“ Brav nickend bejahte der 21jährige.

Nach zwei Stunden schließlich – Verteidigung, Gericht und Staatsanwaltschaft hatten sich mehrmals zu gemeinsamen Beratungen zurückgezogen – verkündete der Richter das Urteil: Einstellung des Verfahrens wegen geringer Schuld. Das Gericht machte den Angeklagten jedoch Auflagen. So muß die angehende 25jährige Erzieherin an 30 Tagen Freizeitarbeiten leisten sowie eine Geldbuße von 300 Mark zahlen. Die anderen kamen mit Auflagen von fünfzehn und zehn Freizeitarbeiten beziehungsweise einer Geldstrafe von 300 Mark davon.

Als „völlig albern“ und „hochgeputscht“ bezeichneten die Verteidigung und die Angeklagten das Verfahren. Das letzte vergleichbare Verfahren in Berlin war 1988 wegen Verjährung eingestellt worden. 1986 war mit Plakaten für freie Arztauswahl und Zusammenlegung von RAF-Gefangenen geworben worden. Barbara Bollwahn