Die falsch verstandene Kreatur Von Karl Wegmann

„Unsere Charlie ist echt intelligent“, Konscho überschlägt sich fast vor Begeisterung. „Ich mein', ich weiß, daß der Köter nicht blöd ist, aber was er da geleistet hat... Das Problem mit Konscho sind seine geheimnisvollen Einleitungen. Drängen bringt nichts. Aufforderungen wie „erzähl' schon“ oder „komm auf den Punkt“ quittiert er mit weiteren Ausschweifungen und Rückblenden.

Wenn man also wirklich gespannt ist, wie Willy und ich in diesem Fall, aber nicht die ganze Lebensgeschichte von Charlie hören möchte, ist es angebracht, ein leicht unterkühltes Desinteresse zu mimen, das verunsichert den Erzähler und läßt ihn schnell zum Kern vorstoßen. „Äh, ja also“, Konscho schaut uns an, sieht Willy aufmerksam einen Bierdeckel studieren und ich bearbeite intensiv einen kleinen Fleck auf meinem Hemd. „Das war nämlich so“, ergreift Konscho wieder die Initiative, und wir spielen mit. „Gestern waren wir zu so 'ner blöden Gartenparty bei Monis Schwester eingeladen“, erzählt er nun ziemlich flott. „Wir waren alle da, ich mein', auch die Kids und Charlie. War stinklangweilig. Ich hatte schon nach zehn Minuten die Schnauze voll. Charlie buddelte ein bißchen im Garten rum, pißte ein paar Tannen an, und plötzlich war er weg. Zuerst haben wir uns nichts dabei gedacht, aber so nach drei Stunden, ich war kurz davor, Moni für ihr dämliches „Familienbeziehungen müssen gepflegt werden“ zu erdrosseln, war die Töle immer noch verschwunden. Dann ging ein großes Theater los. Der ganze besoffene Pöbel schwärmte aus und suchte. Sogar Nachbarn beteiligten sich, alles schrie wild durcheinander ,bei Fuß!‘ und lauter solchen Schwachsinn. Half alles nichts. Nach 'ner knappen Stunde war das Partyvolk wieder am Saufen und wir, mit zwei heulenden Kindern auf dem Rücksitz, auf dem Weg nach Hause. Und jetzt kommt's: Als wir zu Hause ankommen, hockt da Charlie vor der Eingangstür und wartet auf uns. Versteht ihr, der kleine Kerl hat sich auf der Fete gelangweilt und ist einfach gegangen. Dabei mußte er durch die ganze Stadt, mehrere stark befahrene Straßen überqueren, Hunderten von Fahrrädern und bissigen Straßenkötern ausweichen und...“

„Nun mal langsam“, Willy stoppt Konscho in seiner Begeisterung, „ein Hund ist doch keine Brieftaube, ich mein', das sind doch mindestens vier, fünf Kilometer, oder seid ihr ein paar Mal mit ihm zu Fuß da raus gelaufen...“ „Nie!“ Konscho ist empört, „immer nur mit dem Wagen und fast immer auf verschiedenen Wegen.“ „Erstaunlich“, Willy ist beeindruckt, und ich bin es auch. Wir erörten, ob Hunde vielleicht über bestimmte sensorische Fähigkeiten verfügen, sich am Magnetfeld der Erde orientieren können oder so. Willy zitiert aus Einhard Bezzels „Liebes böses Tier“: „In einer modernen, differenzierten Betrachtungsweise wird das Tier zum Bestandteil eines Systems, in dem viele uns oft nur unzureichend bekannte Beziehungen eine Rolle spielen.“

Dann kommt Hermann. „Tach Leute“, begrüßt er uns. „Ach Konscho, du solltest wirklich besser auf deinen Hund aufpassen. Ich hab' Charlie gestern weit draußen gefunden, wühlte im Abfall an einer Pommesbude. Hab' ihn kurz zu euch rübergefahren, hatte aber keine Zeit reinzukommen.“ Es wurde noch ein recht lustiger Abend – auf Konschos Kosten.