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Sportler als Räuber

■ Der 1992 gegründete russische Sportfonds gerät weiter ins Zwielicht

Moskau (taz) – Nachdem vergangene Woche der Präsident des russischen Nationalen Sportfonds und Chef der Bank Nationalnij Kredit verhaftet wurde, gibt es nach wie vor Spekulationen über die wahren Gründe für die Festnahme. Inzwischen hat die Polizei den Besitz von Betäubungsmitteln als Verhaftungsgrund genannt. Die Zeitung Iswestija berichtete, man habe bei Fjodorow 4,5 Gramm Kokain gefunden. Zum neuen Präsidenten des Sportfonds wurde am Dienstag der 42jährige Polizeioberst Valeri Strelezki ernannt, der die Strukturen klarer ordnen und „künftige kriminelle Machenschaften“ verhindern will.

„Schon seit eineinhalb Jahren gab es Gerüchte über eine mögliche Verhaftung Fjodorows“, zitiert die Moskauer Zeitung Nesawisimaja Gaseta den Vorsitzenden einer russischen Sportföderation. Der Nationale Sportfonds, so die Aussage des namentlich nicht genannten Sportfunktionärs, habe die olympische Bewegung diskreditiert. „Sportler gelten deshalb heute als Räuber.“

Der Sportfonds war im Jahre 1992 gegründet worden, um den russischen Sport vor den rauhen Stürmen der Marktwirtschaft zu schützen. In kurzer Zeit entwickelte sich der Fonds zu einem wirtschaftlich florierenden Unternehmen. Auf Anregung von Boris Fjodorow und seinem Freund und Förderer, dem russischen Minister für Sport, Schamil Tarpischew, hatte Jelzin Ende 1993 einen Ukas erlassen, der den Nationalen Sportfonds von Zollgebühren und Steuern im Außenhandel befreit. Unter der Leitung des Sportfonds wurden strategische Materialien aus Rußland exportiert und Alkohol und Tabak importiert. Innerhalb kurzer Zeit wurde der Sportfonds zu einem der wichtigsten Importeure von Alkohol und Zigaretten. Der ehemalige Privatisierungsminister Anatolij Tschubais, der sich gegen die Zollvergünstigungen für den Sportfonds aussprach, bezifferte den Wert der vom Fonds importierten Spirituosen und Zigaretten im Jahre 1994 auf 1,3 Milliarden Dollar. Im Oktober letzten Jahres wurden die Vergünstigungen für den Nationalen Sportfonds aufgehoben.

Im Zusammenhang mit der Verhaftung Fjodorows berichtete die Moskauer Zeitung Kommersant Daily, der Nationale Sportfonds habe nicht nur Spirituosen importiert, sondern sich auch in illegale Wodkaproduktion verwickelt. In diesem Zusammenhang nannte die Zeitung den Fall einer Wodkafabrik in Ungarn, die im Sommer letzten Jahres aufgeflogen war. In Vororten von Budapest wurden 1,5 Millionen gefüllte Flaschen eines gefälschten Wodkas der schwedischen Marke „Absolut“ beschlagnahmt. Der Hauptteil der illegalen Produktion aus Ungarn war für Rußland, die Ukraine und andere osteuropäische Länder bestimmt.

Vier Versionen über die Hintergründe der Verhaftung Fjodorows kursieren in Rußland. Eine Erklärung lautet, politisch interessierte Kreise versuchten einen bekannten Sportfunktionär an den Pranger zu stellen, der sich aktiv am Wahlkampf für Boris Jelzin beteiligt. Die zweite Version sieht den Grund in den wirtschaftlichen Aktivitäten des Nationalen Sportfonds. Nach einer dritten Version hat die Verhaftung Fjodorows etwas damit zu tun, daß Fjodorows Bank Nationalnij Kredit staatliche Gelder, die für den Wiederaufbau von Tschetschenien bestimmt waren, veruntreut hat. Eine vierte Version sieht die Verhaftung von Fjodorow in Verbindung mit dem Bestreben von Boris Jelzin, sich gegenüber seinen Konkurrenten bei der Präsidentschaftswahl als Politiker zu profilieren, der in der Lage ist, Korruption und Betrug zu bekämpfen. Ulrich Heyden

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