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Gelegentlich Sozialisten

■ Der mexikanische Schriftsteller Paco Ignacio Taibo II stellt seinen Journalisten-Kriminalroman "Vier Hände" zur Zeit in Deutschland vor

Wenn es die Qualität eines Buches ausmacht, daß man es auf keine rasch nacherzählbare Story reduzieren kann, ist „Vier Hände“ ein Meisterwerk. Ein Knäuel von zwanzig ineinander geschachtelten und scheinbar unverbundenen Geschichten. Geschrieben wie ein Drehbuch, mit harten, schnellen Schnitten. Im Zentrum steht ein Journalistenduo. Greg, amerikanischer Jude, wuchs „in einem katholischen Waisenhaus und später in einem Schwarzenviertel auf und besuchte schließlich eine Highschool, auf die aus seltsamen Gründen lauter Koreaner gingen“. Julio ist Mexikaner mit Neigung zur Melancholie und antiamerikanischem Ressentiment.

Die Helden entstammen der hard boiled-Tradition des US-Kriminalromans. Ihr Humor ist trocken, der Ton genreüblich machohaft, Liebesaffären fallen hingegen genreunüblich verhuscht aus. Mit Arroganz und Ironie trotzen sie den Wechselfällen des Lebens wie leeren Kühlschränken und vom US-Geheimdienst gefaketen Informationen. Greg und Julio, die ihre Stories für „Village Voice“, „Spiegel“ und „La Jornada“ vierhändig in den Computer tippen, sind natürlich gute Menschen, die an die Wahrheit glauben (und manchmal sogar an den Sozialismus). Ihr gelegentlicher Zynismus verbirgt reine Herzen – aber vor die Wahl gestellt, ein Exklusivinterview mit einem portugiesischen Revolutionshelden an den Playboy oder an eine kleine, linke nicaraguanische Zeitung zu verkaufen, wissen sie, was zu tun ist.

Die Erzählstruktur ist kompliziert, voller Nebenwege und Seitenlinien, die sich irgendwann berühren. So zappt das Buch recht wüst zwischen Stan Laurels Reise nach La Paz, Leo Trotzkis Versuch, einen Kriminalroman zu schreiben, zur von der CIA gefaketen Biographie eines Drogenbosses und Julios Ehedramolett hin und her. Nebenbei läßt Taibo (den der spanische Krimiautor Manuel Vázquez Montalbán einen der „Pioniere des lateinamerikanischen Kriminalromans“ nennt) eine Skizze der Geschichte der Linken der letzten Jahrzehnte Revue passieren. Manche Episoden führen zurück zum Spanischen Bürgerkrieg, zum stalinistischen Terror im Bulgarien der fünfziger Jahre oder zu den US-Interventionen in Lateinamerika.

Zur Vergeßlichkeit neigende Leser mag diese Verästelung überfordern. Doch die Collagenform spiegelt genau die Lage der Helden, die versuchen, den Überblick zu behalten und Lüge und Wahrheit zu unterscheiden. Die Rolle des Schurken spielt darin Alex, Kopf des SD, einer Top-secret- Abteilung des CIA, die so geheim ist, daß noch nicht einmal die SD- Mitarbeiter wissen, daß sie dort arbeiten. Das SD ist ein Geheimdienst aus dem Geist von Kafka, Dada und der Hippiebewegung. Alex spinnt Intrigen all over the world – hat aber mit dem Klischee vom CIA-Bösewicht nichts gemein. Er erscheint vor allem als ein besessener Misanthrop, der SD- Operationen so obsessiv ins Werk setzt wie Fassbinder Filme drehte. Alex ist eine Art Erzähler: Seine Intrigen sind Fiktionen, die über die Wirklichkeit siegen sollen. So ist das Böse in „Vier Hände“ keine moralische Kategorie, sondern Teil der Inszenierung. Alex gibt darin den neurotischsten, abgründigsten, vielleicht auch schillerndsten Part.

Auf dem Höhepunkt der Geschichte, in der schließlich alle Seitenlinien wundersam zusammenschnurren, versucht das SD einen nicaraguanischen Sandinistenführer als CIA-Zuträger und Drogenschmuggler erscheinen zu lassen. Und natürlich soll das Starduo Greg und Julio in dem Komplott die Hauptrolle spielen.

Die Welt ist bei Taibo ein Rätsel: merkwürdig, meist kriminell und voll bizarrer Schönheiten. Karin Gabbert und

Stefan Reinecke

Paco Ignacio Taibo II: „Vier Hände“. Aus dem Spanischen von Annette Schönfeld. Verlag Schwarze Risse/Rote Straße, Berlin 1996, 413 Seiten, 39,80 DM

Der Autor stellt sein Buch diese Woche in Frankfurt, Göttingen, Hamburg und Berlin vor. Außerdem nimmt er an dem Zapatisten- Kongreß teil, der vom 30. Mai bis zum 2. Juni in Berlin stattfindet.

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