Im Präsidentenschatten

■ betr.: „Unheimliche Begegnung in Nicaragua“, taz vom 10. 5. 96

Euer Mann in Nicaragua, Ralf Leonhard, mokiert sich, daß die soli-bewegten Deutschen in Nicaragua den Besuch des Bundespräsidenten nicht wie in alten Zeiten zu „Sponti-Aktionen“ genutzt hätten und statt politischer Transparente nur noch weiße Hemden trügen.

Im Troß der Präsidentengattin hat er sich sogar in ein Armenviertel von Managua gewagt, wo er auf originelle kolonialistische Art feststellt, „der Berliner Soziologie- Professor Manfred Liebel“ habe sich in „seinem (sic!) Straßenkinderprojekt“ zugunsten des hohen Besuchs sogar bereit gefunden, „eine Fahne mit politischem Slogan abzumontieren“. Abgesehen davon, daß ich hier seit sechs Jahren nicht als Berliner Prof rumlaufe, scheint der Mann nicht auf die Idee zu kommen, daß die Nicas auch selbst Grips im Kopf haben und nicht auf deutsche Vormünder angewiesen sind. Im geschilderten Fall scheint ihm ganz entgangen zu sein, daß die Präsidentengattin bei ihrem Projektbesuch von mehreren Papptafeln umstellt war, in denen die Kinder kostenlose Bildung und Gesundheitsversorgung und ein würdiges Leben ohne Armut und Hunger forderten.

Herr Leonhard hätte auch darüber berichten können, daß die Kinder und Jugendlichen des Viertels seit vier Jahren unter unglaublich schwierigen Bedingungen um ein Grundstück für ihr Jugendzentrum, Werkstätten und eine kommunale Schule kämpfen und dank ihrer Beharrlichkeit und mit Unterstützung mancher Soli-Menschen jetzt endlich ihr Ziel erreicht haben. Er hätte seit Jahren auch Gelegenheit gehabt, eine unterhaltsame und kritische Reportage über den Einfallsreichtum und die Initiative der arbeitenden und Straßenkinder in Nicaragua zu verfassen, die seit nunmehr vier Jahren mit einer munteren sozialen Bewegung gegen die neo-liberale Barbarei der Chamorro-Regierung angehen.

Aber nein, da müssen erst der Bundespräsident und seine Gattin aufkreuzen, bis Herr Leonhard sich in deren Schatten unters Volk begibt. Und raus kommt dann eine banale und sensationsgeile Schreibe, die ich meinen nicaraguanischen FreundInnen als Beispiel für die Irrungen und Wirrungen (links- und rechts-)teutscher Besserwisserei zum besten geben werde, selbstverständlich mit Quellenangabe. Manfred Liebel, Managua