Ende einer langen Irrfahrt

30.000 Muslime, die unter Fikret Abdić auf seiten der bosnischen Serben kämpften, verlassen jetzt ihr Flüchtlingslager  ■ Aus Velika Kladuša Erich Rathfelder

Das dreistöckige, aus Schilf und Weidengeflechten kunstvoll gebaute Häuschen des Pandza Wasman im Flüchtlingslager Kupljensko hat schon manche Besucher überrascht. Es sieht aus wie ein Hexenhäuschen aus den Märchen der Brüder Grimm. Ein lebender Baum gibt dem Häuschen halt, so daß selbst die starken Stürme des Winters ihm nichts anhaben konnten. Und der Alte, der das Haus selbst baute, könnte mit seinem rauschenden grauen Bart einem alten russischen Film entsprungen sein.

Doch an der Szenerie ist nichts gestellt. Schon der Blick weiter zu den Zelten des Roten Kreuzes nebenan holt den Betrachter in die Wirklichkeit zurück. Die jungen Männer, die dort in ihren Rollstühlen gefesselt sitzen, erinnern an das Schicksal der Menschen in diesem größten noch existierenden Flüchtlingslager des bosnischen Krieges.

Als am 4. August 1995 die kroatische Offensive zur Rückeroberung der Krajina begann, lebten Pandza Wasman wie die jungen Männer im bosnischen Velika Kladuša, der Hochburg der Anhänger von Fikret Abdić, dem abtrünnigen Muslimführer aus der ehemaligen Enklave Bihać. Die Truppen des mit den Krajina-Serben verbündeten muslimischen Politikers wurden damals vom Norden durch die Kroaten und vom Süden her von den bosnischen Regierungstruppen angegriffen. Sie hatten keine Chance mehr. In Panik flohen 30.000 Menschen aus Velika Kladuša nach Norden in das damals noch von Serben gehaltene Gebiet in Kroatien. Als die abgezogen waren, richteten sich die Flüchtlinge in der Wildnis ein. Kaum 15 Kilometer von ihrer Heimatstadt Velika Kladuša entfernt bauten sie in dem Tälchen bei Kupljensko Notunterkünfte. Die kroatische Regierung ließ sie damals gewähren. Internationale Hilfsorganisationen nahmen sich ihrer an: Zelte wurden aufgebaut, Wassertanks installiert, die Lebensmittelversorgung organisiert, sanitäre Einrichtungen geschaffen. Ihr Führer Fikret Abdić hatte sich damals nach Zagreb abgesetzt und später in sein Haus an der istrischen Küste zurückgezogen.

Der 1993 auch mit dem kroatischen Präsidenten Tudjman verbündete Abdić, der als Feind des bosnischen Präsidenten Alija Izetbegović im Herbst 1993 einen Krieg gegen die bosnischen Regierungstruppen in der Enklave Bihać begonnen hatte, versuchte alles, die Flüchtlinge in diesem Lager zu halten. Seine Ehefrau blieb bis heute in einem Haus am Eingang des Lagers wohnen, sein Sohn ging in die kroatische Armee. Die Abdić-Polizei unterband anfänglich alle Versuche, das Lager zu verlassen. Denn die Flüchtlinge waren die einzige Chance für sein politisches Überleben. Doch seine Versuche, in Dayton eine Sonderregelung zu erreichen, schlugen fehl. Er wollte die Flüchtlinge nach Velika Kladuša zurückführen, jedoch nur unter der Bedingung, die politische Macht dort weiter ausüben zu dürfen.

Pandza Wasman überlebte den Winter wie die anderen Flüchtlinge mit viel Selbstdisziplin. Die Flüchtlinge achteten auf peinliche Sauberkeit, um Seuchen zu vermeiden. Lediglich zwei Menschen starben während des kalten und harten Winters. Dagegen wurden tausend Babies geboren, „ein Wunder“, wie eine Krankenschwester im Lagerkrankenhaus lächelnd sagt.

Heute leben noch rund 4.000 der ehmals 30.000 Flüchtlinge noch hier in den Behelfshütten, die an einem 8 Kilometer langen Straßenstück aufgebaut wurden. Langsam ist die teilweise fanatische Solidarität mit dem Führer abgebröckelt. Dies wurde möglich, weil der Koordinator für die kroatisch-bosniakische Föderation, der deutsche CDU-Politiker Christian Schwarz- Schilling, im Herbst 1995 die betroffenen Seiten an einem Tisch versammeln konnte. Danach zogen sich die bosnischen Regierungstruppen aus Velika Kladuša zurück, türkische Polizisten und Kollegen aus Sarajevo und Tuzla rückten nach und versuchten so, das Mißtrauen der Flüchtlinge zu zerstreuen, sie würden Racheakten der bosnischen Seite ausgesetzt. Busse pendelten fortan von Velika Kladuša ins Lager. 17.000 Menschen entschlossen sich nach und nach, in ihre Heimat zurückzukehren.

Vor allem junge Männer sind es, die in der Armee von Fikret Abdić gedient haben. Unter ihnen sind auch viele Serben. 50 Menschen haben Visa für die USA erhalten. In den nächsten Tagen sollen 500 andere in ein Zwischenlager auf der kroatischen Insel Obaljan gebracht werden, 300 verlassen noch am Nachmittag das Lager in Richtung Gasinći bei Djakovo in Slawonien. Am 15. Juli, so sagt ein Mitarbeiter der Hilfsorganisation Médecins sans frontières, „wird das Lager aufgelöst“. Der junge Mann im Zelt des Roten Kreuzes ist seit neun Monaten hier. Edin Vrabać will nicht sagen, was er über den Exodus von damals und über Fikret Abdić denkt. Er will nur noch weg nach Kanada, wo eine Verwandte lebt, um zu studieren und wieder normal zu leben. Pandza Wasman dagegen zieht es zurück nach Velika Kladuša. Er hat seine Wohnung dort wieder hergerichtet, sein Häuschen wird er zerstören.

Die türkischen Polizisten ziehen Anfang Juni ab. „Wir haben unsere Arbeit getan und eine verläßliche lokale Polizei aufgebaut“, sagt Polizeichef Burhan Tansu. In Velika Kladuša normalisiert sich das Leben wieder. Das üppig wachsende Gras wird in einigen Jahren auch die Spuren des Flüchtlingslagers überwuchert haben. Nur die Gräber der 1.200 Menschen, die im Krieg der Abdić- Truppen gegen die bosnischen Regierungstruppen gefallen sind, werden noch lange an den Bruderkampf in Bihać erinnern.