Erfolg der tschechischen Wirtschaft

■ Trotz geringer Arbeitslosigkeit Kritik an Privatisierung

Prag (taz) – Vor sechs Jahren konnten sich die TschechInnen von ihrem monatlichen Durchschnittslohn 1.314 Flaschen Bier kaufen, heute sind es knapp 1.500. Kein Zweifel also: Die Wirtschaftspolitik der Regierung Klaus war erfolgreich.

Die makroökonomischen Daten der Tschechischen Republik können sich sehen lassen: Die Arbeitslosigkeit liegt konstant niedrig bei rund drei Prozent, das Bruttosozialprodukt stieg 1995 um 4,8 Prozent, die Industrieproduktion um 9,2 Prozent, und die Inflationsrate sank im vergangenen Jahr mit 9,1 Prozent erstmals unter die Zehnprozentmarke. Zudem ist der Staatshaushalt stets ausgeglichen. Da kann kein anderer ost- beziehungsweise mitteleuropäischer Reformstaat mithalten. „Die tschechische Wirtschaft hat 1995 stark zugelegt, und auch in diesem Jahr entwickelt sie sich gut“, lobte auch die Europäische Kommission in ihrem am Dienstag veröffentlichten Bericht.

Als vor vier Jahren die liberal- konservative Regierung Klaus antrat, hatte sie eine gewaltige Aufgabe zu bewältigen: Die ehemalige Planwirtschaft sollte zu einer Marktwirtschaft – ohne Adjektive, wie Premier Klaus stets betont – umgewandelt werden. Bei den jetzigen, ersten Parlamentswahlen im selbständigen Tschechien wird sich am Freitag und Samstag zeigen, ob alle mit dem eingeschlagenen Weg zufrieden sind.

Denn nicht alles stellt sich beim zweiten Blick so rosig dar, wie es beim ersten Hinsehen erscheint. Da weisen die Statistiken zunächst ein großes Außenhandelsdefizit aus. In den ersten vier Monaten 1996 erreichte es bereits eine Höhe von umgerechnet 2,2 Milliarden Mark. Die Europäische Kommission kritisierte auch den „primitiven Zustand“ des Finanzsektors.

Aber auch die ansonsten allseits gelobte tschechische Art der Privatisierung offenbart ihre ersten groben Fehler. Nur rund 24 Prozent der Tschechen sind laut einer Meinungsumfrage von Mitte Mai mit dem Verlauf der wirtschfatlichen Transformation zufrieden. Die Regierung gibt zu, daß man stets den schnellsten, nicht jedoch den besten Weg der Privatisierung gesucht hat. Das hat inzwischen bei einigen Betrieben, wie dem Stahlgiganten Poldi im mittelböhmischen Kladno, zu erheblichen Problemen geführt. Dieser steht mit seinen rund 6.000 Angestellten nun vor dem Bankrott und sorgte dafür, daß die staatlichen Privatisierungsmethoden ins Schußfeuer der Kritik gerieten. Nur so sei es aber zu schaffen gewesen, daß innerhalb von fünf Jahren der Anteil des privaten Sektors am Bruttosozialprodukt von zwei auf 75 Prozent stieg, erklärt das Privatisierungsministerium. Das nützt ihm nichts mehr. Es fällt selbst der Privatisierung zum Opfer, zum 1. Juni wird es abgeschafft.

Seit 1991 wurde ehemaliger Staatsbesitz in Höhe von umgerechnet rund 50 Milliarden Mark privatisiert. Knapp die Hälfte davon wurde per „Coupon-Privatisierung“ entstaatlicht. JedeR BürgerIn konnte mit Hilfe von Coupon-Heften Aktien an den zu privatisierenden Betrieben erwerben. Inzwischen befinden sich die meisten dieser Aktien im Besitz der Investmentfonds, und die sind im Besitz der Banken, die wiederum im Besitz des Staates sind, kritisiert der Vorsitzende der größten Oppositionspartei, der Sozialdemokrat Miloš Zeman.

Ein anderer Nachteil der von Premier Vaclav Klaus erfundenen Coupon-Methode ist der Mangel an Kapital. Die Betriebe wurden zwar schnell privatisiert, doch Geld für eine dringend nötige Modernisierung blieb aus. Kritiker der Regierung Klaus führen an, daß viele Betriebe nur dadurch überleben, weil ihre Eigentümer – sprich Banken – zugleich ihre Gläubiger sind.

Ein immer größeres Problem stellt zudem die Korruption dar. Nicht nur die Polizei und der Zoll, auch die staatlichen Privatisierungsbehörden sind von dem Virus befallen. Ihr Leiter wurde gerade für sieben Jahre in den Bau geschickt. Katrin Bock