Verstädterung birgt außer Risiken auch Chancen

■ Laut dem Weltbevölkerungsbericht verlangsamt sich das Wachstum der Menschheit. Dafür leben immer mehr in Städten, vor allem in Entwicklungsländern

Bonn (taz) – Um 86 Millionen Menschen wuchs die Weltbevölkerung im letzten Jahr. Damit verlangsamt sich der Zuwachs auch weiterhin leicht. Das gab gestern der Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen (Unfpa) auf einer Pressekonferenz in Bonn bekannt. Anfang dieses Jahres lebten 5,78 Milliarden Menschen auf der Erde; die Sechsmilliardengrenze wird voraussichtlich im Jahr 1998 überschritten werden.

Doch nicht so sehr die Zahlen stehen im Vordergrund des diesjährigen Weltbevölkerungsberichts, sondern die Situation in den rasant wachsenden Städten, vor allem in der Dritten Welt. Über 90 Prozent der weltweiten Verstädterung wird sich zukünftig in den Entwicklungsländern abspielen. Mit Blick auf die UN-Konferenz über die Zukunft der Städte, „Habitat II“, die Anfang Juni in Istanbul stattfindet, hat die Unfpa die Bedeutung der globalen Verstädterung für das Bevölkerungswachstum analysiert.

60 Prozent der Verstädterungsrate entfallen inzwischen auf den „natürlichen Zuwachs“ und nur noch 40 Prozent auf Zuwanderung in die Städte oder Reformen von Verwaltungsgebieten. Schon in zehn Jahren wird über die Hälfte der Menschheit in Städten leben. Gleichzeitig hebt der Bericht aber neben den Risiken des unkontrollierten urbanen Wachstums auch die Chancen der Verstädterung für eine erfolgreiche Familienplanungspolitik hervor. Diese werden vor allem in der leichteren Erreichbarkeit der Zielgruppe gesehen.

Corinna Kuhl von der Unfpa in New York betonte außerdem, daß die Gesundheitsvorsorge und das Bildungswesen in den Städten meist dem auf dem Land überlegen seien. Insbesondere Frauen könnten ihr Leben unabhängiger gestalten und der soziale Wandel vollziehe sich schneller, als auf dem Lande. Damit diese Möglichkeiten nicht leichtfertig aus der Hand gegeben werden, mahnt der Bericht die Habitat-Konferenz, die Beschlüsse der Weltbevölkerungskonferenz von 1994 in Kairo als bindend anzusehen und zu übernehmen.

Dazu gehört vor allem die Verbesserung der Bildungsmöglichkeiten für Mädchen und Frauen. Außerdem muß die Sterblichkeit von Kleinkindern und Säuglingen wie auch die Müttersterblichkeit dringend reduziert werden. Ein Drittel der Stadtbevölkerung, rund 600 Millionen Menschen, besitzt heute nicht einmal genug zum Überleben und 70 Prozent davon sind Frauen und Kinder. Mit der Ausbreitung von Armut und Unwissenheit, Diskriminierung und Umweltverschmutzung schwinden die Chancen, die die Städte ihren BewohnerInnen bieten könnten. Uwe Kerkow