■ Vorlesungskritik
: Wider die Paranoia des Skeptikers

Der Mann hat nichts Professorales. Wie er in seinem gestreiften Polohemd gemeinsam mit einem Schwall Studenten in den Hörsaal schwappt, ist er von den älteren Hörern kaum zu unterscheiden. Oder handelt es sich vielleicht um den Hausmeister? Jedenfalls wischt er zunächst einmal wortlos und bedächtig die vier Tafeln, die er später nach einem sorgsam ausgetüftelten Plan mit seinen logischen Ableitungen bedecken wird. Das Problem dabei ist nur, daß die Studierenden eben diesen Plan vorher nicht kennen und daher mit der Platzeinteilung auf ihren Ringbuchblöcken in arge Bedrängnis geraten. Erst als er ans Katheder tritt und mit Schweizer Akzent „O. k.“ sagt, wird klar, daß es sich um den Dozenten handeln muß.

Peter Bieri lehrt an der Freien Universität Erkenntnistheorie. Eigentlich wollte sich der Vorlesungskritiker von den Philosophen vorerst fernhalten, versteht der Laie bei ihnen doch nie so recht, worum es eigentlich geht.

Peter Bieri: „Ich bin kein Spinner.“ Foto: Wolfgang Borrs

Beim letzten Mal hatte er versucht, vor den Tücken der Disziplin ins Biographisch-Anekdotische zu flüchten. Leider sah sich der Betroffene darob in seiner wissenschaftlichen Eitelkeit gekränkt, offenbar fürchtend, die Leser der Zeitung könnten ihm selbst eine solche Flucht in die Banalitäten des Alltags unterstellen.

Halten wir uns diesmal also, so schwer es fällt, lieber ans harte Schwarzbrot der Wissenschaft. Deshalb behaupten wir lieber nicht, die Erkenntnisphilosophen versuchten bloß Dinge zu beweisen, die schlichtweg nicht zu beweisen sind. Denn Bieri würde uns dann als „Skeptiker“ bezeichnen, was bestimmt nicht nett gemeint wäre, weil der Skeptiker der ärgste Feind des um Erkenntnis ringenden Philosophen ist. Als er in der Vorlesung „das Fenster zum Thema Skeptizismus“ öffnet – Fenster öffnen, denkt sich der Kritiker, ist bei der Hitze eine prima Idee –, beeilt er sich hinzu zufügen, „daß wir es nachher wieder schließen müssen“. Als er nach 90 Minuten mit der Präzision eines Schweizer Uhrwerks „ziemlich genau durch“ ist, verriegelt er jenes Fenster in der Tat ganz heftig mit der Bemerkung, der Skeptiker sei von einer „universellen Paranoia“ befallen.

Immerhin sei er „kein Spinner“, gesteht Bieri zu, weshalb es für ihn „Herausforderung“ ist, dagegen anzukämpfen. „Man kann nicht den Vorhang der Erfahrung beiseite schieben und schauen, wie die Welt wirklich ist“, klickt er zur Begründung noch einmal das Fensterbild an. Die kartesianische Lösung des Problems, „an allem zu zweifeln, aber nicht an dem, was meine Gedanken sind“, ist Bieri zu dürftig. „Wenn sich die Welt verändert, verändern sich auch meine Gedanken“, bevorzugt er offenkundig die naturalistische Auffassung. Um Beispiele für „paranoide Typen“, bei denen Innen- und Außenwelt eben nicht im Einklang stehen, ist er nicht verlegen: Der Lottospieler, der sich Rationalität vorgaukelt, indem er zwei Stunden lang den Zettel ausfüllt; der süchtige Roulettespieler, der sich gegen alle Rationalität des künftigen Gewinns sicher wähnt; der Arzt, der bei der Visite Veränderungen am Patienten nicht wahrnimmt.

Auch sich selbst spart er dabei nicht aus. „Stellen Sie sich vor, ich komme nächsten Dienstag Viertel nach zehn hier rein, und hier vorne steht ein riesiger Eisblock“, versucht er auch die letzten Skeptiker zu überzeugen, „der Wissende ist der, der sich nicht den Kopf einrennt“. Womit bewiesen ist, daß die Philosophie bisweilen von praktischem Nutzen sein kann. Ralph Bollmann

Peter Bieri, Philosophische Fragen über Erkenntnis, eine Einführung, Dienstag 10 bis 12 Uhr, Henry-Ford-Bau, Hörsaal D.