Schutz vor Ansteckung u. a.

■ Bebrillt im Nachtleben. Sonnenbrillen werfen drängende Fragen und Antworten in unseren Alltag. Zweiter Teil

Das Wetter ist komisch und wechselt ständig, die Menschen sind launisch und verheddern sich in ihren Gefühlsökonomien. Winterdepressionen ragen in Sommertage, Frühlingsgefühle toben sich an verregneten Herbsttagen aus. Auch Grippekranke sind zu beklagen. Unruhig läuft man hin und her, eher noch verwirrter als sonst lungert man bei Hertie am Halleschen Tor Tag für Tag vor den Sonnenbrillenständern herum. Denn so richtig glaubt man nicht mehr, daß demnächst der Sommer doch noch vorbeikommen könnte.

Der Sonnenbrillenkaufakt ist sowieso eine komplizierte Geschichte: Immer kauft man die falsche, wegen heimtückisch schmeichelnder Fachberatung oder weil das drängende Begehren keinen Aufschub dulden mag. Wobei man oft erst ziemlich spät merkt, daß es die falsche ist, weil man keine genaue Vorstellung hat von dem, wie man aussehen möchte.

Als ich mir vor ein paar Jahren stolz eine prima, total verspiegelte Sonnenbrille bei Hertie kaufte und keiner meiner Freunde mir sagte, wie bescheuert die aussah (aus zärtlicher Rücksicht!), fuhr ich stolz damit weit weg, um eine Freundin zu beeindrucken. Die schenkte mir eine andre, die klasse aussah und deshalb wohl gleich wieder verlorenging. Die Sonnenbrillenfehlkäufe dagegen verliere ich nie. Inzwischen habe ich eine Sonnenbrille der Firma „Puma“. Die tragen alle Journalisten, und sie sieht auch nur ein bißchen bescheuert aus.

Sonnenbrillen wollen nicht nur prima aussehen und vor der Sonne schützen, vor allem wollen sie bedeuten. Am letzten Wochenende gegen acht oder so am Morgen kam zum Beispiel eine Gruppe blendend gelaunter Menschen in die Bar des Tresors. Alle trugen Sonnenbrillen. Um stolz darauf hinzuweisen, daß sie des Nachts tolle Dinge erlebt hatten, und um die von allerlei nächtlichen Räuschen ermüdeten Augen vor dem grellen Licht des Tages und den Blicken der gewöhnlichen Tagesbeginner zu schützen. Die Sonnenbrillen des Nachtlebens wollen verbergen und gleichzeitig auf das Verborgene triumphierend hinweisen. So ähnlich – wenn auch stärker in Richtung Verbergen – ist es übrigens auch mit den bleich geschminkten Frauengesichtern in diversen Technoläden.

Bei After-hour-Parties – neulich um zehn im Nautilus zum Beispiel – sind übrigens auch ironische Rockstar- oder seltsame Kindersonnenbrillen sehr beliebt. Die weisen dann darauf hin, daß der Träger sich des performativen Charakters der Sonnenbrille bewußt ist.

Als Teenager hatte ich eine ziemlich konkrete Vorstellung vom gelungenen Leben: sich nach durchgemachter Nacht morgens in der Sonne mit neuen Bekannten unterhalten, Rauschgift rauchen, Musik hören und eine Sonnenbrille dabei aufhaben.

Vor der Ansteckung durch das Mißlungene können Sonnenbrillen auch ganz gut schützen.

Vor ein paar Tagen in der Hasenheide war es mir jedenfalls sehr angenehm, eine Sonnenbrille aufzuhaben. Da gesellte sich ein trostlos schwankender Mann zu mir und fragte, ob ich Haschisch dabei hätte und ihm was schenken könne. Während er sprach, rückte er immer näher. Und wollte plötzlich ein Kilo Hasch haben. Er habe eine Hirnhautentzündung, mit Hasch würde es seinem Kopf gleich bessergehen. Und weshalb ich hier säße, wenn ich nichts hätte. Dann bat er um Geld und wunderte sich, daß ich keines dabeihatte, denn ich hätte doch Zigaretten und die hätte ich doch mit irgendwas bezahlen müssen.

Die Sonnenbrille schützte mich jedenfalls davor, daß sein Unglück auf mich übergriff. So konnte ich seine Augen beobachten, während die Bewegungen meiner Augen (mit denen ich übervorsichtig darauf achtete, was seine Hände machten) versteckt blieben. Irgendwann gelang es mir, mich von ihm loszueisen. Zum Abschied rief er mir nach, das nächste Mal solle ich ein Kilo Haschisch mitbringen. Und Geld. Vielleicht habe er ja dann auch Haschisch dabei, und das könne er mir ja dann verkaufen. Detlef Kuhlbrodt